Wenn Gras das Fleisch ersetzt: Die Nahrung der Zukunft
Unsere Ernährung soll sich in den nächsten Jahren verändern, wenn wir CO2 einsparen wollen. Mehr als ein Drittel aller Treibhausemissionen sind auf das globale Ernährungssystem zurückzuführen – fast 70 Prozent fallen auf die Herstellung tierischer Lebensmittel. Ein Lösungsweg, der derzeit viel beschworen wird: Präzisionsfermentation, laut dem Guardian die „wichtigste grüne Technologie überhaupt“.
Der KURIER hat mit dem deutschen Lebensmitteltechnologen Volker Heinz über die Trends der Branche gesprochen, über Gras als neuen Eiweißlieferanten und was es braucht, um Fleisch tatsächlich gut ersetzen zu können.
KURIER: Beim Thema Nahrung der Zukunft wird in letzter Zeit wird oft über Präzisionsfermentation gesprochen. Worum handelt es sich hier?
Volker Heinz: Fermentation ist uralt und ein riesiges Feld. Anders als beim Bierbrauen oder der Herstellung von Sauerkraut, wandeln bei der Präzisionsfermentation Bakterien einen Organismus nach genauen Vorgaben um, es werden einzelne Komponenten isoliert. So etwa kann das Enzym Kasein, mit dem Käse hergestellt wird, pflanzlich erzeugt werden – ganz ohne tierische Milch. Durch diese Fermentation könnten Lebensmittel hergestellt werden, die denselben Geschmack und dieselben Eigenschaften wie tierische Produkte aufweisen, ohne dass dafür Tiere gehalten werden.
Ein US-Thinktank prophezeite gar, dass sich durch diese Technologie die Zahl der Kühe in den USA bis 2030 halbieren kann. Der Guardian schreibt von der „wichtigsten grünen Technologie überhaupt“. Wie schätzen Sie das ein?
Das Potenzial ist groß. Allerdings gibt es vor allem in der EU das Problem, dass fermentierte Lebensmittel nicht als solche zugelassen sind. Bei der Präzisionsfermentation ist oft Gentechnik im Spiel. Die Öffentlichkeit im deutschsprachigen Raum ist da sehr kritisch. Technisch ist viel möglich, aber die Zulassung ist schwer. Die USA hängen uns da jetzt schon ab. Präzisionsfermentation kann die Nahrungsmittelindustrie vielleicht in zehn, zwanzig Jahren grundlegend verändern. In naher Zukunft sehe ich andere Möglichkeiten, um pflanzliches Eiweiß zu generieren.
Was wären das für kurzzeitigere Lösungen?
Die Frage ist, was man schnell umbauen und verwerten kann. Enorm viel Ackerfläche wird derzeit ja nur bewirtschaftet, um Tierfutter zu erhalten. Diese Flächen müssten effektiver genutzt werden. Die Zukunft wird geprägt sein, von der Suche nach Ersatzprodukten – wie Erbse oder Ackerbohne. Menge und Verfügbarkeit sind aber noch das Problem. Wir in unserem Forschungsinstitut setzen auf Eiweißgewinnung aus Gras.
Wie kann man sich das vorstellen, herkömmliches Kleegras soll Proteine für Menschen liefern?
Genau. Die Grünlandnutzung ist ein alter Gedanke, der vor 50 Jahren aufkam. Damals war man technologisch noch nicht so weit, das Protein aus dem Gras zu extrahieren. Das funktioniert heute. Ein Hektar Kleegras ergibt zwei Tonnen Eiweiß. Soja liefert auf dieser Fläche nur 700 Kilogramm. Eiweiß ist zudem nicht gleich Eiweiß. Hier hat Grasprotein sehr gute Eigenschaften. Wir führen Versuche auf etwa 10 Hektar durch.
Wie kann man sich das genau vorstellen?
Das Gras wird nass gepresst, dann aufgetrennt – mit Zentrifugen und Membranen. Den anfallenden Feststoff, die Zellulose, bekommen Insekten, die dann an Hühner verfüttert werden. So betreiben wir eine Kaskadenwirtschaft.
Oft wird kritisch angemerkt, dass Fleischersatzprodukte hoch prozessiert sind mit vielen Inhaltsstoffen.
Dieses Argument ärgert mich. Jedes Brot aus dem Supermarkt besteht aus vielen Zusätzen, Milch ist ebenfalls hoch prozessiert – wird erhitzt, geklärt usw. Es kommt bei jedem Produkt auf die Inhaltsstoffe an.
Was braucht es, um einen Umstieg auf Fleischersatz zu ermöglichen?
Die Alternativen müssen günstiger werden als herkömmliches Fleisch – dann wird es wirklich attraktiv. Und der Geschmack muss sich verbessern. Die derzeitigen Alternativen sind noch nicht überzeugend. Aber das wird sich schnell ändern. Auch, weil sich hinsichtlich Pflanzenfett und Struktur einiges tut. Dieser Faktor wird oft vergessen. 55 Prozent der Fette, die wir aufnehmen, kommen übers Tier. Fett braucht es als Geschmacksträger. Tierisches Fett ist aber viel fester als das von Pflanzen. Hier gibt es neue Techniken, die pflanzliche Öle zu einer Art Gel machen, Oleogele. Der Markt wird sich noch sehr stark vergrößern. Das sehen auch Fleisch- und Milcherzeuger, von denen viele in Alternativen investieren.
Volker Heinz ist Vorstand am Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik. Es wird zu technischen Fragen der Lebensmittelproduktion geforscht.
59 Kilogramm Fleisch isst der Österreicher im Durschnitt im Jahr.
WWF und WU Wien haben eine Ernährungspyramide entwickelt, die Auswirkungen auf -Emissionen, Biodiversität und Flächennutzung minimieren soll. Fleisch, Eier und Fisch sollen nur halb so oft gegessen werden wie bisher.
Kommentare