Und bei noblen Veranstaltungen wie dem Picknick im Londoner Mayfair ist der mintgrüne Eventbus des Weinguts mittlerweile ein Highlight. Geduldig stehen die Briten Schlange für ein Glas Classic Cuvée; feinperlig, goldfarben und im Geschmack eine Schärfe gepaart mit Briochenoten – um 12 Pfund. Die Messlatte ist klar: Die großen Häuser Frankreichs. Deshalb werden die Produkte auch bloß mit den drei Champagner-Sorten produziert: Chardonnay („der Klare, mit seiner erfrischenden, schmackhaften Säure“); Pinot Meunier („der mit seiner üppigen Fruchtigkeit für den nötigen Ausgleich sorgt“) und Pinot Noir („der Geheimnisvolle, der jedes Jahr ein wenig anders schmecken kann und genau deshalb so wundervoll ist“).
Mit dieser speziellen Auswahl war Nyetimber im Gründungsjahr 1988 in England Vorreiter. Mit 350 Hektar ist das Weingut heute zudem größter Sektproduzent im Land. Doch mit seinem Fokus ist es nicht mehr allein: Rund 68 Prozent des in England und Wales erzeugten Weins entfällt auf Sekt; allein in England wird er von rund 100 Weingütern produziert.
Ein bisschen ist England beim Sekt ohnehin auch Pionier. Vor fünf Jahren wurde in der Kleinstadt Winchcombe eine Plakette angebracht: Arzt Christopher Merret habe 1662 hier dokumentiert, wie man den Sprudel in den Wein bekommt. Das war, wird gerne betont, 30 Jahre vor den Mönchen Frankreichs. Wer habe also den Champagner tatsächlich erfunden?
Durch Kalkboden wie in der Champagne – manche argumentieren, es ist die gleiche Gesteinsschicht, die sich unter den Ärmelkanal durchzieht – und milderes Wetter – auch wenn vermieden wird, den Klimawandel zu erwähnen – kann der Süden Englands derzeit ideale Bedingungen für den Sektanbau bieten. So gut sind die Voraussetzungen, dass die Franzosen mitmischen möchten.
Pommery ist 2014 in der Grafschaft Hampshire die erste Kooperation eingegangen; Taittinger hat 2017 in Kent Reben angepflanzt: 2024 sollen die ersten Flaschen der Domaine Evremond, benannt nach jenem Franzosen, der im späten 17. Jahrhundert Sekt am Hof von Charles II bekannt machte, zum Verkauf stehen. Nein, natürlich habe man keine Sorge, dass England Frankreich den Rang ablaufen könne, heißt es von Taittinger; „Wir wollen auf den Bedarf des englischen Publikums eingehen. England ist seit Jahren Exportland Nummer eins.“
Steigenden Sektbedarf bestätigt auch Nyetimber. Mittlerweile werden pro Jahr eine Million Flaschen abgefüllt. Dafür knipsen mehr als 300 Erntehelfer händisch die Trauben in 15-Kilo-Schütten. „Standard sind 40 Kilo, aber dabei werden die untersten oft gequetscht. Das wollen wir vermeiden“, sagt Markenbotschafter Charles Lowe bei der Weingut-Tour und öffnet die Tür zum schicken Presshaus. Penibel wurden hier die Nirosta-Tanks noch einmal geputzt. Leicht schräg stehen die Presskolben, sodass die Charge möglichst gut durchgemischt wird. Und von den Pressungen wird stets nur der erste, feinste Teil genommen. Es sind die Details, die den Unterschied machen. Und die dazu geführt haben, dass Cherie Spriggs 2018 „Sparkling Winemaker of the Year“ wurde.
Sie war nicht nur die erste Frau, die den Preis der International Wine Challenge erhielt, sondern auch die erste Winzerin außerhalb der Champagne. Nun wird an weltweiter Bekanntheit gearbeitet. Ihr Wunsch: „Dass die Leute, wenn sie hören, dass ich Winzerin in England bin, nicht mehr starren, als hätte ich zwei Köpfe.“ Und: „Dass man beim Feiern nicht mehr nur an Schaumwein aus der Champagne denkt.“
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