Erwachsenenmalbücher: Mal dich glücklich
Im Untergeschoß der Buchhandlung Thalia auf der Wiener Mariahilfer Straße, dort, wo es Kalender, Stifte, Papier, Notizblöcke und Schulhefte gibt, macht sich die freizeit auf die Suche nach dem jüngsten Trend im Buchhandel: „Magische Eulen“, „Traumhafte Tierwelt“ oder „Zaubergarten“ lauten die Titel der aktuellen Bestseller, deren Namen klingen, als ginge es darum, die Realität auszusperren. Es sind Ausmalbücher für Erwachsene.
Beim Stöbern und Hineinblättern landet man in einer Welt aus Schlössern, Blumenwiesen, Mustern und Mandalas. Immer wieder begegnen einem exotische Begriffe wie Zentangle, Zendoodle oder Zencolor. Über allem schweben die Sehnsuchts-Begriffe Entspannung, Meditation, Happiness. Also nicht mehr als ein Trick der Esoterik-Branche, leichtgläubigen Menschen auf Sinnsuche das Geld aus der Tasche zu locken? Oder eine clevere neue Strategie, dem stetig steigenden Stresspegel des Alltags ein Schnippchen zu schlagen, indem man sich eine Zeit lang in die eigene Kindheit zurückversetzt?
Ausmalbilder für Erwachsene. Im Frechverlag erschienen sind etwa "Zencolor Meditation" und "Zencolor Moments". Tangles zum Ausmalen und Loslassen
DIE ANGST VOR DEM WEISSEN PAPIER GIBT ES HIER NICHT Spricht man mit Menschen, die regelmäßig Mandalas zeichnen oder Ausmalbilder colorieren, wird jedenfalls eines klar: Sie alle haben etwas gefunden, das Ihnen Spaß macht und hilft, sich für einige entspannte Stunden aus dem Alltag auszuklinken. Die Psychologin und Kunsttherapeutin Petra Hofmayer sieht diese Entwicklung positiv: „Es gab ja einmal den Trend zu behaupten, jeder Mensch sei ein Künstler. Daraufhin haben sich viele Menschen für teures Geld Leinwände, Staffeleien und Farben gekauft, nur um bald festzustellen, dass es gar nicht so einfach ist, eine weiße Fläche kreativ zu gestalten.“ Ein Frust, der bei Ausmalbüchern definitiv wegfällt. Country-Sängerin Sandra Schauer, 33, muss nicht auf Ideen warten, um einen Anfang zu finden. Sie sucht sich ihre Vorlagen im Internet, druckt diese aus und bemalt sie so, wie’s ihr gefällt. „Dafür verwende ich knallige Filzstifte.“
Auch die 32-jährige Studentin Viktoria Paar aus Wien kennt die Angst vor dem weißen Blatt Papier nicht,wenn sie zeichnet. Sie weiß, wie sie anfängt, beginnt ihre Mandalas, die sie selbst zeichnet, immer mit einem Punkt. „Manchmal weiß ich zwar mittendrin nicht, wie es weitergeht, oder mir gefällt etwas nicht“, erzählt sie. „Aber ich bleibe dran und bin oft erstaunt, dass am Schluss immer etwas Schönes dabei herauskommt.“
REIN IN DEN MAL-FLOW
Das Beste an der Arbeit mit Ausmalbildern, Mandalas oder Zentangle ist, dass man sich sicher fühlen kann, weder über- noch unterfordert ist und mit der Zeit in einen regelrechten Mal-Flow kommt, also jenen Zustand der Selbstvergessenheit, der Energie schenkt und Gefühle wie Freiheit und Glück freisetzt. Psychologin Petra Hofmayer: „Für viele Erwachsene ist das Malen wie eine Reise in die Kindheit, eine Zeit, in der die Welt noch in Ordnung war.“ Deshalb sei das Malen mit Vorlagen auch ideal für ältere Menschen – natürlich angepasst an die jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Dabei werden alte Erinnerungen wach, und damit schließlich auch der Geist.
MIT MALEN ZURÜCK INS LEBEN
Kreative Therapien ermöglichen unseren Stimmungen Gestalt zu geben, sie so begreifbar zu machen. Darüberhinaus führt das Malen selber, das gezielte Punkte, Striche und Farben auf ein Papier setzen, Linien und Schleifen ziehen, zu einer Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit und aktiviert den präfrontalen Cortex, den Teil des Gehirns, der erheblich Einfluss darauf hat, wie wir handeln, denken und fühlen. „Das kann dabei helfen, negative Bewertungen umzudeuten, Ängste zu reduzieren, Vertrauen in den eigenen Körper zu finden und die chronische Müdigkeit – eine häufige Folge von Tumorbehandlungen –zu verbessern“, erklärt Univ.-Professor Alexander Gaiger. Er leitet die Abteilung für onkologische Rehabilitation im Lebens Med.Zentrum Bad Erlach bei Wiener Neustadt. Hier werden Menschen nach oder mit Krebserkrankungen unterstützt, Wege vom Überleben zurück ins Lebens zu finden. Das kreative Tun ist ein wesentlicher Faktor für die Therapie bei posttraumatischen Belastungen. „Krankheit führt oft dazu, dass wir den Fokus darauf legen, was nicht funktioniert. Onkologische Rehabilitation und die dabei eingesetzten kreativen Therapien ermöglichen wahrzunehmen, was geht und den Rahmen unseres Denkens von Krankheit in Richtung Gesundheit zu verschieben.
Das gezielte Setzen von Punkten, Strichen und Farben aufs Papier kann die Konzentrationsfähigkeit verbessern und den präfrontalen Cortex aktivieren, den Teil des Gehirns, der erheblich Einfluss darauf hat, wie wir handeln, denken und fühlen.
MALEN STATT FERNSEHEN
„Die Arbeit mit Ausmalbildern hilft, einen rastlosen Geist zu zähmen“, sagt Psychologin Hofmayer. „Wir leben in schnellen Zeiten, da ist es fein, wenn man etwas findet, das beruhigt.“ Meditation ist solch ein Ruhepol, aber nicht für jeden Menschen die passende Methode, die er erlernen kann oder will. Selbstvergessenheit im Tun zu finden, und sei es „nur“ Bilder auszumalen, geht da schon einfacher. Sind Malbücher also das neue Yoga? Zumindest sind sie eine clevere Strategie, einem hektischen Alltag Ruhe zu schenken. Es ist die Zeit, die man sich für sich selbst nimmt. Die 63-jährige Pensionistin Anna Mayer, die lieber zeichnet als vor dem Fernseher zu sitzen, beschreibt es so: „Ich kann mich darin vertiefen, abschalten und alles hinter mir lassen.“ Auch die Kreativität wird angekurbelt. Und am Ende bleibt das gute Gefühl, ein Kunstwerk geschaffen zu haben.
Auslöser des Trends, der seit mehr als einem Jahr Malbücher für Erwachsene in allen Variationen in die Buchhandlungen schwemmt, ist Zentangle. Eine Art des Zeichnens, entwickelt in den USA, die Meditation (Zen) mit freiem Zeichnen (tanglen) kombiniert. Hier sind die Größe der Ausmalfläche sowie der Beginn eines jeden Musters vorgegeben. Erfinder von Zentangle sind die Kalligrafin Maria Thomas und Rick Roberts, ein ehemaliger Mönch.
Da Zentangle eine geschützte Marke ist, hat sich daraus der Begriff Zendoodle entwickelt (Doodle =kritzeln). Wie beim Zentanglen entstehen Muster in allen möglichen Varianten.
Mandalas sind im Hinduismus und Buddhismus geometrische Schaubilder, die der Meditation dienen. Mandalas selbst zu entwerfen oder vorgedruckte Mandalas auszumalen, hat zwar keinerlei religiöse Bedeutung, kann aber durch die geometrische Form helfen, die Verinnerlichung zu vertiefen.
Auch die Zencolor genannten Ausmalbilder für Erwachsene haben die Kraft, Unruhe, Grübelei, Frust oder Ärger zu zähmen. Das Gute: Man bewegt sich in einem sicheren Rahmen – die Angst vor dem leeren Blatt Papier gibt es da nicht und man hat die Chance, sich im selbstvergessenen Tun zu entspannen.
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