Der dunklen Materie auf der Spur

Was wurde am 4. Juli 2012 am CERN eigentlich entdeckt? Ein Erklärungsversuch.

Jetzt soll alles schnell gehen. 2015 oder 2016 soll der Nachweis für die rätselhafte, weil unsichtbare dunkle Materie erfolgen, die vier bis fünf Mal so häufig ist. Was das mit dem heuer entdeckten Higgs-Boson zu tun hat? Nun, Higgs erklärt nur den sichtbaren Teil des Universums. „Das Higgs-Boson hat keine Revolution unseres Weltbildes bewirkt, weil die ursprüngliche Annahme von Peter Higgs (1964, Anmerkung) ja bestätigt wurde, aber die Entdeckung bleibt dennoch eine bahnbrechende Entdeckung.“ Das sagt Rolf-Dieter Heuer. Der Forscher ist heute Gast einer Podiumsdiskussion in Wien. Mithilfe von Higgs können nunmehr 5 Prozent des Universums schlüssig erklärt werden.

Higgs ist jenes Teilchen, das sämtlichen anderen kurz nach dem Urknall ihre Masse verlieh, die diese Partikel im Ruhezustand auf die Waage bringen. Die Suche nach dem H-Boson hat die Öffentlichkeit jahrelang beschäftigt. Aber was bedeutet Higgs für uns? Heuer formuliert es so: „Ohne diesen Mechanismus würden wir alle mit Lichtgeschwindigkeit durchs Universum sausen, es gäbe keine Chance, überhaupt Materie zu bilden.“

Bei solchen Erklärstücken steigen allerdings viele aus. Der deutsche Physiker Harald Lesch meint sogar, für 99 Prozent der Menschen sei die Sache mit dem Higgs-Boson nicht nachvollziehbar.

Der dunklen Materie auf der Spur
Während Higgs für die Wissenschaft also der Schlüssel ist, um zu erklären, warum nach dem Urknall Masse und Materie zusammenhalten konnten, ist es für die Öffentlichkeit das „Gottesteilchen“. Was aber hat ein Teilchen , das einen Sekundenbruchteil nach dem Urknall existierte, mit unserem Alltag zu tun, ist Higgs schuld an dem, was unsere Waage im Bad anzeigt? Nein, sagt Lesch. „Wir Menschen bestehen zum allergrößten Teil aus der Bindungsenergie von Kohlenstoff, und die besteht wiederum aus Teilchen, die vor Abermillionen Jahren einmal durch das Higgs-Feld geflogen sind.“ Bis auf diese uralten Spuren aus der ersten Sekunde des Universums könnten wir also auch ohne Higgs existieren, erläutert er. Heuer meint dazu: „Zu sagen, Higgs sei fundamental für unsere Existenz, ist vielleicht ein bisschen arg weit hergeholt.“

Um das Higgs-Boson verständlich zu machen, kursieren verschiedene bildhafte Vergleiche: Da wird das Higgs-Teilchen zu einem prominenten Partygast, um den sich die anderen, vorher gleichmäßig im Raum verteilten, Personen scharen. Das Bild funktioniert ebenso mit einem Gerücht oder einem Zoowärter, der das Futter bringt. Auch die Suche nach dem Higgs-Teilchen, das Aufspüren eines neuen Teilchens unter Milliarden von Protonen-Kollisionen, die am Large Hadron Collider (LHC) am CERN durchgeführt wurden, lässt sich am besten mit einem Bild verdeutlichen. Heuer, blumig: „Higgs war sehr schwer zu finden, in dem Sinne, dass sie eine spezielle Schneeflocke im Schneegestöber finden müssen, vor dem Hintergrund eines Schneefeldes.“ Die dunkle Materie werde einfacher nachzuweisen sein. Um bei Heuers Bild zu bleiben: Eine Suche „ohne Schneefeld“.

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Podiumsdiskussion Talk Gate: „Higgs-Boson – Was nun?“

Die Jagd nach Higgs hat die Physik wieder ins Gespräch gebracht. CERN-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer erinnert das neu erwachte Interesse an seiner Disziplin an die 1920er-Jahre und die Relativitätstheorie Einsteins.

KURIER: Herr Direktor Heuer, sie sprechen heute von Higgs-artigen Teilchen. Was wurde am 4. Juli 2012 am Cern gefunden?
Heuer: Wir haben ein neues Teilchen gefunden, das im Wesentlichen alle Eigenschaften hat, die wir von Higgs erwarten. Ein Kriterium, das wir in den kommenden Monaten noch untersuchen, ist sein Eigendrehimpuls. Higgs ist das einzige Teilchen, das den Spin null haben muss, damit das Modell stimmt. Es wäre das erste und einzige Teilchen, das keine Richtung hat. Das ist das spannende, das unterscheidet Higgs von allen anderen.

Hat sich Ihr Leben seither verändert?
Ich werde zu mehr Vorträgen eingeladen, als ich halten kann. Aber das ist positiv. Der 4. Juli, das war ein toller Tag, nicht nur für die Teilchenphysik, für die Wissenschaft allgemein. Zuletzt wurde in den 1920er-Jahren so viel über Physik gesprochen, damals hat die Leute Einsteins Relativitätstheorie fasziniert. Die Menschen haben das Gefühl, da ist was dran, das erklärt, wie Dinge im frühen Universum zustande gekommen sind.

Der nächste Schritt führt sie am LHC an den Rand des physikalischen Weltbildes, wann wissen wir Näheres über Dunkle Materie?
Wenn wir Glück haben und Dunkle Materie aus Teilchen besteht, dann müsste uns am Cern der Nachweis 2015 oder 2016 gelingen.

Zur Person
Überall, wo Rolf-Dieter Heuer derzeit über die Entdeckung des Higgs-Bosons (gerne auch Gottesteilchen genannt) berichtet, sind die Säle voll. Der Deutsche, Jahrgang 1948, ist gebürtiger Schwabe, Physiker und als Generaldirektor von CERN in der Schweiz, Chef von 6500 Wissenschaftlern. Als Charakterzug nennt er die beständige Suche nach Neuem und hält es mit Goethes Faust: Erforschen, was die Welt im Innersten zusammenhält.

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