Der Aufklärer aus dem DNA-Labor
Die Liste seiner Fälle ist ein Who-is-who der Weltgeschichte. Ein alpinhistorisch bedeutsamer Fall – der Streit um den Absturzort des jüngeren Messner-Bruders Günther, der die Bergsteigerzunft seit 1980 gespalten hatte – landete auf seinem Labortisch; die 100-jährige Frage nach der Identität der Zarenfamilie hat er geklärt, wie auch die Frage der frühen Besiedlung Tirols: Walther Parson ist der Mann für die kniffligen Fälle. Der wissenschaftliche Leiter des DNA Zentrallabors in Innsbruck führt in seinem Buch "Irgendwann kommt alles ans Licht" in die Welt der DNA-Forensik ein, der kriminalistischen Spurensuche mithilfe von, fallweise uraltem, Erbgut.
KURIER: Herr Parson, Sie haben u. a. Knochenreste der Romanows untersucht. Wie gehen Sie an solche Promi-Fälle heran?
Walther Parson: Mir ist die mediale Wirkung bewusst. Wir behandeln aber jede Probe mit der gleichen Genauigkeit und Sorgfalt, egal ob es sich um einen höchst politischen, höchst emotionellen Fall handelt, wie bei der Zarenfamilie, oder um einen unbekannten Fall.
Bewunderer Schillers waren enttäuscht von Ihren Ergebnissen, Sie wurden "Schiller-Killer" genannt, kommt so etwas oft vor?
Wir können mit der DNA-Analyse Licht in Fälle bringen, deren Aufklärung seit langer Zeit umstritten ist. Nehmen wir den angesprochenen Friedrich-Schiller-Fall. Da war die Enttäuschung der Anhänger groß, weil die DNA-Analyse klar ergeben hat, dass die Gebeine nicht vom Dichterfürsten stammen. Seit dem frühen 20. Jahrhundert haben sich sich Gelehrte trefflich gestritten, welches von zwei möglichen denn nun das Skelett des Dichters sei. Zwischen 2006 und 2008 haben wir eine Reihe von Proben untersucht und dann gibt es auf einmal Klarheit. Keines der Skelette gehört zu Schiller. Kapitel geschlossen.Unsere Ergebnisse werden, je nach Kenntnisstand, unterschiedlich aufgenommen. Kriminalisten wissen um die biostatistische Aussagekraft der DNA-Analyse. Wenn die DNA-Ergebnisse nicht mit der Annahme in Einklang zu bringen sind, dann kann die betroffene Person als Probengeber zu 100 Prozent ausgeschlossen werden. Im umgekehrten Fall, wenn die DNA-Analyse die Annahme bestätigt, kann dieser Zusammenhang nie 100-prozentig sein. Dazu müssten wir zu diesem Zeitpunkt die ganze Weltbevölkerung DNA-mäßig untersucht haben, was unmöglich ist. Deswegen wird dieser Zusammenhang durch statische Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt.
Was kann die beste DNA-Analyse nicht leisten?
Die Grenzen liegen bei der Menge der verfügbaren DNA. Für eine erfolgreiche Analyse brauchen wir das Äquivalent des DNA-Gehalts von 10 bis 15 Zellen (in einem Zellkern sind 6 Pikogramm DNA, ein Pikogramm ist ein Billionstel g, Anm.). Wenn wir so viel DNA erhalten, sind wir in der Lage, reproduzierbare Ergebnisse zu liefern. Selbst alte DNA-Proben können bei guter Lagerung ein gutes DNA-Profil ergeben, wie im Fall von Leopold III., von diesem Markgrafen und Landespatron Österreichs haben wir 900 Jahre alte Proben erhalten (das Stift Klosterneuburg wollte das Rätsel um die Mutter des ältesten Leopold-Sohnes Adalbert klären, Anm.). Die Proben waren bei konstanten Bedingungen gelagert, dunkel, kühl und ohne direkte Sonnen-Einstrahlung.
Der weniger bekannte Teil Ihrer Arbeit sind populationsgenetische Forschungen. Sind wir alle miteinander verwandt?
Das Innsbrucker DNA-Labor wurde 2013 weltberühmt. Vom Wall Street Journal abwärts berichteten internationale Medien über die Gerichtsmediziner, die mittels DNA-Analyse 19 lebende Tiroler ausfindig gemacht hatten, die mit dem 1991 entdeckten „Mann vom Hauslabjoch“ (vulgo Ötzi) verwandt sind.
Die Forschung dahinter ist kompliziert. Sie beruht aber auf der Tatsache, dass unser Erbgut kein starres Gebilde ist, sondern sich rege verändert, manchmal nur durch den Tausch eines Basenpaars der DNA. Bleiben solche kleinen Veränderungen erhalten, werden sie zu genetischen Merkmalen für bestimmte Bevölkerungsgruppen in bestimmten Gegenden. Sie werden wissenschaftlich zu Haplogruppe zusammengefasst. Mithilfe dieser Gruppen können sowohl die Verbreitung des modernen Menschen als auch historische Wanderrouten verfolgt werden.
Parson und sein Team wollten wissen, ob die typischen Merkmale für Mitteleuropäer auch im gebirgigen Tirol zutrafen. „Ötzi“ gehörte der heute im Vorderen Orient verbreiteten Haplogruppe „G“ an, die in Europa selten ist. Außer in Tirol, wie sich herausstellte. Im oberen Inn- und im Paznauntal fanden die Forscher erhöhte G-Werte – und Tiroler, die dieser genetischen Untergruppe heute noch angehören.
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