CliniClowns: Ärzte ohne Grenzen
Ein paar Seifenblasen schweben durch die offene Tür. Vorboten einer kurzen Zeit der Freude, zart schillernd und leicht wie die Luft. Vorbei an Nirosta-Beistelltischen und Besuchersesseln, Obstschalen und Infusionsständern. Sie zerplatzen nicht, wenn sie auf dem rostbraunem Linoleumboden oder dem Stahlrahmen des Bettes landen, das ist ein zu lautes Wort. Sie lösen sich einfach auf, wie durch einen Zaubertrick.
Ein zehnjähriges Mädchen bemerkt die flüchtigen Besucher als erstes. Sie liegt mit ihrem semmelbraunen Stoffhund im Bett, die Mutter, der man ihre Müdigkeit ansieht, sitzt an einem kleinen Tisch und schneidet einen Pfirsich in Spalten, während das strahlende Blau des Sommers unbeirrt durchs Fenster lacht. Das Mädchen runzelt misstrauisch die Brauen. Als sich eine Seifenblase für den Bruchteil einer Sekunde frech auf ihre Bettdecke setzt, huscht doch ein Lächeln über ihr Gesicht.
"Farbtupfen im Schwarzweiß-Film"
Wenig später wird die Zehnjährige ihren Stoffhund gut zugedeckt zurücklassen und gemeinsam mit Dr. Hänsel und Frau Dr. Ledig Visite an den anderen Betten in ihrem Zimmer machen. Sie wird Luftballonfiguren, die ihre beiden Arztkollegen basteln, an die anderen Kinder verteilen und die Kanüle, die in ihrer Vene steckt und dick mit medizinischem Klebeband an ihrem schmalen Arm befestigt ist, vergessen. Vielleicht nur für fünf Minuten. Aber an den Spaß, den sie hatte, wird sie sich noch lange erinnern.
"Unheilbar oder lebensbedrohlich" krank
800 Kinder fallen allein in Wien und Umgebung in die Kategorie "unheilbar oder lebensbedrohlich" krank. Für sie wird gut gesorgt, natürlich. Mediziner und Eltern opfern sich für sie auf – und doch kann der Clown, was besorgte Erwachsene nicht können: Er setzt Regeln außer Kraft, negiert Grenzen – er nimmt Kinder genauso ernst wie Erwachsene. Oder eben nicht. Er gibt ihnen das Gefühl wenigstens für eine kurze Zeit größer, stärker, klüger zu sein als ihr Gegenüber. "Schön, dass Sie kommen konnten", sagt Dr. Hänsel im nächsten Zimmer zu vier begeisterten Achtjährigen. "Ich hoffe, Sie sind mit dem Service zufrieden. Ist ja all inclusive …" Dr. Hänsel blickt streng in die Runde. "Das heißt …" – "Jaaa, hier kriegt man alles, Essen und so", rufen die Kinder. "Ach, Sie verstehen das Englisch? Haben Sie den Whirlpool auch schon benutzt?" Oder, im Zimmer eines 16-Jährigen, erbost an seine Kollegin: "Haben Sie dem jetzt ein Busserl g'schickt?" Frau Dr. Ledig schaut verlegen, der junge Mann strahlt wie bei einem ersten Date.
Die ihnen oft sehr viel abverlangt. Über Wochen und Monate, manchmal Jahre entsteht eine tiefe Beziehung zwischen Clown und Kind. Bis eines der Betten von einer Woche auf die andere plötzlich leer ist. "Therapie? Untersuchung? Eine Komplikation? Man fragt eine der Schwestern – und so erfährt man dann die traurige Nachricht", erzählt Dr. Hänsel. Oft ist es allerdings auch so, dass Kinder, die tatsächlich gerade im Sterben liegen, noch einmal "ihre" Clowns sehen wollen. Auch gegen die Bedenken der Eltern. "Als würden sie sagen wollen: Ich bin noch da", sagt Vondrak-Zorell. "Kinder wollen nicht vergessen werden. Wir versuchen ihnen das Gefühl zu geben, dass sie dazugehören. Ein Teil von uns sind. Bis zuletzt."
Glücksmomente für ein Leben
Und echte Glücksmomente, die ein ganzes Leben halten. Erst vor kurzem besuchte ihn eine junge Frau während seiner "Visite" im AKH und begrüßte ihn vor Freude strahlend. Er erkannte sie nicht auf Anhieb. Denn als Dr. Hänsel sie zum letzen Mal sah, war sie ein zehnjähriges Mädchen, das schwer krank auf seine Nierentransplantation wartete ...
"Aber es gibt natürlich Erlebnisse, da kommt man an seine Grenzen, fragt sich, warum es sowas geben darf", erzählt Verena Vondrak-Zorell, die als "Ärztin" Dr. Tupfen Topfen heißt. Einmal ist sie zur Beerdigung eines Kindes gegangen. Normalerweise tun CliniClowns das nicht, sie sind auch nur Menschen, und das Maß an Leid, das man ganz nah an sich heranlassen kann, ist begrenzt. Aber sie hat das fünfjährige Mädchen viele Monate für das Wiener Kinderhospiz zuhause betreut. Nach einer verzweifelt ersehnten Transplantation, als es endlich Hoffnung gab, ist es überraschend gestorben. Die Lieblingspuppe des Mädchens hatte Dr. Tupfen Topfen beim Begräbnis dabei, als letztes Geschenk. Sie war natürlich nicht verkleidet, nur die rote Nase hatte sie mit, das hat sich die Mutter so gewünscht. Und die Seifenblasen.
Neben dem Grab setzte Verena Vondrak die Nase auf, und ließ die Seifenblasen über Erde, Wiese und Kieswege schweben. Zart schillernd und leicht wie Luft. Jede einzelne eine Erinnerung an kurze Momente der Freude und des Glücks.
Vor 25 Jahren wurden die CliniClowns in Wien gegründet. Die Vorbilder kamen aus den USA, wo der Zusammenhang zwischen „Lachen“ und „Therapie-Erfolg“ schon bekannt war. Patch Adams und vor allem Michael Christensen inspirierten Gründungsmitglied Roman Szeliga, gemeinsam mit Schauspielerin Kathy Tanner, erster CliniClown Österreichs – und Europas.
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