Diary Slams: Bühne frei für den Seelenstriptease

Die Texte müssen aus dem Original-Tagebuch sein.
Pubertäre Verzweiflung und Schwärmereien: Bei Diary Slams werden Tagebücher vorgelesen.

Ich schreibe nicht. Ich schreibe nur Tagebuch." Diese Aussage war für Diana Köhle lebensverändernd – und die Geburtsstunde eines neuen Bühnen-Konzepts.

Nachdem die gebürtige Tirolerin jahrelang Poetry Slams organisiert hatte, veranstaltete sie vor vier Jahren den ersten österreichischen Tagebuch-Slam in Wien. Der Name ist seitdem Programm: Menschen kommen auf die Bühne , um aus den Tagebüchern ihrer Teenager-Zeit vorzulesen. Das kann peinlich werden – aber vor allem amüsant, so die Initiatorin: "Es sind Abende voller Aha-Erlebnisse, fremdschämen, rot werden und lachen ohne Ende."

88 Tagebuch-Slams haben mittlerweile in allen Bundesländern stattgefunden, 43 davon in der Bundeshauptstadt. Im Wiener Theater an der Gumpendorfer Straße ( TAG) in Mariahilf wird heute Abend der 44. Slam die neue Saison einläuten.

Skurrile Geständnisse

Was man als Zuseher erwarten darf? Keine Kunst, aber Ehrlichkeit. Die Art, wie in Tagebüchern geschrieben wird, macht es für Köhle besonders aus. "Einmal hat eine Teilnehmerin vorgelesen: 'Ich bin total depressiv. Mir tun sogar die Nudeln leid, die ich nicht aufgegessen habe.' Das ist absurd und gleichzeitig genial", erinnert sie sich. Solche Anekdoten werden ab Herbst in einem Buch erscheinen, das Köhle im Zuge der Veranstaltungsreihe herausgibt. Den ganzen Sommer über hat sie dafür Tagebucheinträge gelesen. "Zum Tagebuch ist man so ehrlich wie sonst zu niemandem."

Während der Poetry Slam als literarische Kunstform verstanden wird und dabei professionelle Auftritte inszeniert werden, kann beim Tagebuch-Slam jeder mitmachen, der irgendwann ein Tagebuch geführt hat. Köhle: "Es bietet jenen die Möglichkeit, auf der Bühne zu stehen, die sonst nicht künstlerisch aktiv sind."

Oft sei es für Teilnehmer eine Art Mutprobe, vor dem Publikum zu sprechen. "Das kann auch sehr befreiend sein", weiß die Initiatorin. Wie etwa bei jenem Teilnehmer, der Tagebucheinträge aus einer für ihn sehr beklemmenden Zeit vorgetragen hat. Das Publikum hat auf so viel Offenheit sehr positiv reagiert. "Er hat mir danach erzählt, wie erleichternd es für ihn war, zu merken, dass heute niemand mehr über seine sexuelle Orientierung urteilt."

Seitdem ist Köhle überzeugt: "Die schönsten Geschichten schreibt das Leben". Und auch die skurrilsten, resümiert sie. "Was, da kommen Leute?", war etwa eine andere Teilnehmerin kurz vor ihrem Auftritt erstaunt, die ihre lustigsten Tagebucheinräge eigentlich nur im intimen Kreis der anderen Teilnehmer teilen wollte. Dass ihr später rund 260 Ohren im Saal des TAG lauschen würden, damit hatte sie nicht gerechnet.

Die Tagebuch-Slams sind mittlerweile auch in den Bundesländern ein Publikumserfolg: "Nachdem es in Wien so positive Resonanz gab, habe ich es 2014 auch in kleineren Städten versucht."

Die Karten verkaufen sich auch hier schnell, es sei allerdings schwieriger, Teilnehmer zu finden. Besonders zurückhaltend geben sich die Österreicher in den Bergen, allen voran die Innsbrucker. "Die Leute sind vorsichtiger, weil sie denken, es kennt sie jeder." Ob in der Großstadt oder auf dem Land: Skurrile Zufälle haben sich schon öfter ereignet, erzählt Köhle.

"Einmal erkannten zwei Frauen im Publikum ihren Onkel wieder, als eine Teilnehmerin von ihrem damaligen Freund erzählt hat, der ein ziemlicher Arsch zu ihr war. Sie haben darüber gelacht und ihm ein gemeinsames Foto geschickt."

Emotionale Distanz

Mindestens fünf Jahre sollten die Tagebücher alt sein, "denn aus der Distanz kann das Geschriebene leichter mit Humor betrachtet werden", weiß die Moderatorin. Generell sei die Veranstaltung aber für alle Altersgruppen: "Als Teenager hatten wir einfach alle die gleichen Probleme. Über alle Generationen hinweg."

Neben den Anekdoten ihrer Teilnehmer hat Köhle auch selbst ihre einst geheimen, pubertären Schwärmereien offenbart: "Christian kennt mittlerweile jeder." Ihr Jugendschwarm hat der Tirolerin das Herz gebrochen – und ihr ein Kusstrauma verpasst. "Wir haben nämlich beide eine Zahnspange, aber er nur oben." Dieses Zitat von ihm gibt Aufschluss darüber, warum. Ab Herbst wird der Satz als Titel auf dem Buch zu lesen sein, in dem Köhle Tagebucheinträge ihrer über 300 Slam-Teilnehmer abdrucken lässt.

"Jeder hat einen Christian", ist Köhle überzeugt. "Vielleicht ist das jetzt die Entschädigung für mein langes Leiden", lacht sie. Ob das auch Christians Leben verändern wird? Er weiß jetzt zumindest Bescheid.

Ablauf

Ab 17.9.2017 finden die Tagebuch-Slams unter Moderation von Initiatorin Diana Köhle monatlich im Wiener TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße 67, 1060 Wien) statt. Alle Termine und Karten gibt es online unter www.dastag.at.

Anmeldung zur Teilnahme: Per Mail an diana@liebestagebuch.at.

Ablauf: Das Original-Tagebuch muss mitgebracht werden, jeder Teilnehmer liest zwei Passagen in je fünf Minuten vor. Das Publikum entscheidet letztendlich, wer die1000 Schilling (73€) "Taschengelderhöhung" gewinnt.

Kommentare