"Schreibend wurde mein Kopf wieder frei"

"Schreibend wurde mein Kopf wieder frei"
KURIER-Leserin Christine Hochgerner besiegte den Brustkrebs drei Mal und verarbeitete ihre Erfahrungen schriftlich.

Ich bin 59 Jahre und hatte meine erste Brustkrebsoperation knapp vor meinem 40. Geburtstag. Noch während der Chemotherapie entwickelte sich der Wunsch nach Veränderung. So begann ich neben meiner Berufstätigkeit Pädagogik und Publizistik zu studieren, beides schloss ich acht Jahre später ab. Elf Jahre später war es wieder so weit. Drei Tumore befanden sich in meiner linken Brust, eine Mastektomie musste vorgenommen werden. Eigentlich war ich damals vor allem dankbar, dass nicht bereits bei der ersten Erkrankung die Brust entfernt werden musste und ich hatte ein wunderbares Umfeld, das mich sehr stützte.

Im Sommer 2012 hatte ich zum 3. Mal Brustkrebs, genauer gesagt war es eine Metastase auf der Narbe der Mastektomie, die 7 Jahre zuvor durchgeführt wurde. Schadensbegrenzung war angesagt: das kranke Gewebe wurde entfernt, das operierte Gebiet bestrahlt und Medikamente für die nächsten 5 Jahre verordnet.

Mit Beginn der Strahlentherapie begann ich kurze Geschichten zu meiner Situation zu schreiben und bald stellte sich eine neue Routine in meinem Leben ein, die mich in dieser Zeit sehr stützte. Schreibend wurde mein Kopf wieder frei, etwas darin begann sich umzuschreiben. Nicht schön zu schreiben, aber das Leben bekam wieder Struktur, einen roten Faden für die Zukunft.

Aus den Kurzgeschichten entwickelte sich die Idee, einen Roman zu schreiben. Keine Autobiografie, sondern einen Roman mit autobiografischen Inhalten. Ich wollte die Freiheit des Erzählens: mich manchmal von meiner eigenen Geschichte entfernen zu können, um sich bei späterer Gelegenheit wieder anzunähern.

Ein Jahr später: Mir geht es sehr gut. Mein Roman ist mit dem Titel: „hoffen ist viel“ Anfang September in der „Edition Weinviertel“ erschienen und ich arbeite an meinem zweiten Buch.

Meine erste Geschichte im Sommer 2012

Realitäten entstehen im Kopf

Die Rolltreppe bringt mich hinunter in den Bauch des riesigen Krankenhauses. Schon bei der Anmeldung am Schalter erwartet mich eine lange Schlange. Ich sehe mich um. Menschen sitzen einsam oder in kleinen Grüppchen herum. Ihre Gesichter blicken müde, werden erwartungsvoll, sobald sich jemand nähert. Ein Schickeriatreff ist das wirklich nicht. Ich spüre Wut und Tränen aufsteigen, warum muss ich auch zu denen gehören, den vom Schicksal gezeichneten, den Bedauernswerten, denen, die akzeptieren müssen, dass der Bauplan ihres Körpers immer wieder verrückt spielt.

Meine Gedanken durch das Aufrufen meines Namens unterbrochen. Ich komme zu einer Ärztin. Wir unterhalten uns über meine bevorstehende Pensionierung, die ich noch vor dem Ertasten der Metastase eingereicht habe. Nach der Besprechung über das Prozedere für die Strahlentherapie ergibt ein Wort das andere. Wir landen in der Literatur der Zwischenkriegszeit, sind in Wien, Paris und Berlin unterwegs. Sie ist eine begeisterte Joseph Roth Anhängerin, die sich in eine weniger bekannte Liebesgeschichte Roths verbissen hat. In detektivischer Kleinarbeit hat sie sich der Frauengestalt angenähert. Sie steckt mich an, wir entwerfen einen gemeinsamen Schlachtplan. Innerlich jubelnd gehe durch die Ambulanz nach draußen, ich bin ein Mensch mit dem man Pläne schmiedet - nicht nur Therapiepläne. Die noch wartenden Menschen kommen mir gar nicht mehr so trostlos vor. Eine junge Frau lächelt mir zu, ich strahle zurück und stecke damit zwei weitere Frauen an.

Mit der U-Bahn fahre ich sofort in die nächste größere Buchhandlung. Suche nach Büchern von Roth. Ich blättere in Hiob und der Frage nach dem Sinn alles Leidens. Unglück, das wie eine Bestrafung erscheint, aber auch die Hoffnung, dass letztendlich alles gut wird. Beides spüre ich ebenso für mich in diesen Tagen so nah beieinander. Wie die andere Seite einer Medaille. Man wirft sie hoch, fängt sie auf und je nachdem lacht oder weint man. Sind es die Ereignisse, die uns beglücken oder bedrohen oder die Bedeutungen, die wir damit verbinden?

Gerade habe ich wieder die gute Seite der Medaille aufgefangen. Ich streife durch die Buchhandlung, lasse mich von einem Buch zum anderen treiben. Habe die Zeit, in das eine oder andere hinein zu lesen, manches wieder zurück zu stellen und für mich eine kleine, feine Auswahl zu treffen.

Ich habe die Wahl – das ist eine große Chance.

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