"Mich bis in die letzte Zelle lieben - darum geht's"

"Mich bis in die letzte Zelle lieben - darum geht's"
Die Psychotherapeutin Beatrix Teichmann-Wirth , ermutigte sich während ihrer Erkrankung, "ganz auf mich zu schauen".

Manchmal, manchmal gibt es Momente, da wird es ruhig in mir und still, dann ist es wie ein Niedersinken in mich.

Dann kehre ich ein in mein Körper-Haus, und die Welt rückt ab von mir, weil ich mich auszudehnen beginne, dann ist die Welt nicht in mir , sondern ich bin in der Welt.

So war es damals, als die Diagnose Brustkrebs mein Bewusstsein anhob und ich - sitzend in einem Wiener Kaffeehaus in der Mai Sonne - staunend gewahr wurde, vielleicht das erste Mal in meinem Leben, dass dies hier mein Leben ist, dass dieses Leben mir gehört und nicht irgendeiner Idee, für die zu kämpfen ich bereit war, mich zu erschöpfen, nicht der Leistung, die mich berechtigte, in der Gesellschaft zu sein.

Damals im Zustand der Klarheit, welche mir die Diagnose verlieh, war es leicht, dies wahrzunehmen. Auch waren Dinge zu tun, ein Chirurg zu finden, ein Operationszeitpunkt festzulegen, Telefonate zu führen, mich in meinen eigenen Belangen um mich zu kümmern.

Und die Welt rückte ab.

Krebs berechtigt.

Krebs berechtigte mich, auf mich zu schauen, mich zum Mittelpunkt des Lebens zu machen, Termine und Verpflichtungen abzusagen, mich um mich selbst zu drehen, aus mir heraus zu sein.

Da wurde es ganz still in mir.

Die Therapiestunden wurden abgesagt - undenkbar zuvor -, Verpflichtungen gelöst, Raum geschaffen für mich. Ich durfte.

Und dieser Körper, dieser mein Körper, ein Leben lang ungeliebt, begann sich auszudehnen.

"Mich bis in die letzte Zelle lieben, darum geht´s", dachte ich damals einen Tag nach der Diagnose.

Und fühlte, dass dies die Heilung ist, dass wenn ich in jeder Zelle liebend anwesend bin, kein Platz für das Wüten des Zerstörerischen ist.

Endlich. Leben dürfen.

So war die Diagnose neben dem ersten Schock auch eine Befreiung.

"Ja, wenn Du Krebs hast, dann wollen wir nicht weiter in Dich dringen, selbstverständlich bist Du jetzt das Wichtigste", sagten die anderen.

Kein Nachfragen, dem man sich stellen musste, keine Erklärungen und Rechtfertigungen dafür, dass man nicht (mehr) will.

Und diese Befreiung offenbarte mein tiefstes organismisches Wissen dafür, was zu tun ist. Wie durch einen inneren Sensor geführt, wusste ich, welche Behandlungsmaßnahmen heilsam sind und auch wer diese am besten durchzuführen hat.

Befreit aus meiner Kleinheit, dem artigen Entsprechen wollen, der Theorie- und Autoritätsgläubigkeit gestattete ich mir, selbst zu bestimmen, entgegen dem Drängen mancher Schulmedizinier, meinen Zeitpunkt der Operation zu bestimmen und auch mit der Bestrahlung solange zu warten, bis ich sicher war, dass sie mir zur Heilung gereicht.

Ich erlebte, dass ich meine eigene Klarheit in Bezug auf eine Behandlung (Tamoxifen), welche ich nicht auf mich nehmen wollte, nicht kämpferisch verfechten musste, sondern dass diese wie von selbst überzeugend wirkte, und dass diese Entscheidung selbst von Verfechtern dieser Behandlung akzeptiert wurde.

Ich erlebte Dankbarkeit darüber, dass der Krebs in einem Stadium war, in welchem keine für mich noch eingreifenderen Maßnahmen wie eine Chemotherapie notwendig waren.

Ich fühlte große Dankbarkeit für die Unterstützung durch meine Eltern und meinen Mann und durch FreundInnen, welche mich bekräftigten, auf meine innere Stimme zu hören.

Dankbarkeit für die Unterstützung aus der geistigen Welt und für mich, die bereit war, diese anzunehmen.

Letztlich erfuhr ich meine Schwesternschaft im Kreise Krebskranker und ein hohes Maß an Demut vor der Schwere des Schicksals und der Würde, mit welcher es getragen wurde, und Hochachtung für die Kraft der jeweils eigenen Art der Bewältigung.

Den Tumor hat man mir (ab)nehmen können, das Leben habe ich zu führen. Das ist die Herausforderung.

Während die Diagnose für mich ein Geschenk war, in Fühlung zu kommen mit der Person, die leben will, so ist die Zeit danach bis jetzt geprägt von der beständigen Mahnung, dieses Leben zu würdigen, mich zu pflegen, ganz gesund zu werden oder einfach mich wohl zu fühlen in diesem meinem weiblichen Körper.

Das ist oftmals schwer.

Schon dringen wieder die vermeintlichen Notwendigkeiten und Ansprüche in mich ein, wird es laut von der Fülle des Bedenken-Müssens, wird es schnell und oberflächlich in mir.

Dann spür ich eine Sehnsucht nach Einkehr, nach der Stille im Ankommen und der seligen Freude über mein Sein. Und....Manchmal, ja manchmal wird es ruhig in mir und still.....

Info: Der Text wurde im Buch "Die Sternenfänger - wahre Geschichten über Bewältigungsstrategien bei Krebs" von Margit und Gudrun Koller (2003) veröffentlicht.

Die Diagnose Brustkrebs verändert das Leben jeder Frau, jede bewältigt die Erkrankung anders. Sabine Wilde hat im Yoga einen Ausgleich zu den Belastungen der Krebstherapien gefunden. Wie sie ihre Erkrankung bewältigt hat, erzählt sie hier.

Schreiben, skifahren, Jakobsweg

Christine Hochgerner besiegte den Brustkrebs drei Mal und bewältigte ihre Erfahrungen schriftlich - aus ihren Kurzgeschichten wurde ein Buch. Hier erzählt sie ihre Geschichte. Gertrude Klabutscher hat trotz Brustentfernung wieder ein so positives Körpergefühl, dass sie auch ohne Brüste in die Sauna geht. Susi Safer führte auf ihrer Facebook-Seite ein öffentliches Bilder-Tagebuch über ihren Kampf gegen Krebs. Die Wienerin Heidi Pippan bewältigte indes nach der Diagnose per E-Bike den Jakobsweg. "Den Krebs hab’ ich dortgelassen", erzählt sie.

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