Brauchen Single-Frauen eine Selbsthilfegruppe?

"Es geht nicht darum, Frauen beziehungsfähig zu machen", sagt Pauline Wachter.
Eine Wienerin hat die erste virtuelle Selbsthilfegruppe für Single-Frauen gegründet. Kein Ort für Suderanten – sondern ein Sicherheitsnetz für Sorgen aller Art.

Liebeskummer, finanzielle Nöte oder Probleme mit dem Chef: Wenn Carrie Bradshaw und ihren Single-Freundinnen in "Sex and the City" etwas unter den manikürten Nägeln brennt, trinken sie zusammen einen Cosmopolitan, reden – und schon bald ist alles wieder gut. Was aber, wenn nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit drei Gleichgesinnte zur Stelle sind, die für alles ein offenes Ohr und eine Lösung haben?

Für solche Situationen hat Pauline Wachter, 38-jährige Betriebswirtin, Psychologin und Single-Frau, "Single-Venus" gegründet: eine virtuelle Selbsthilfegruppe für Frauen, die alleine leben. Davon gibt es immer mehr, zeigt die steigende Zahl der Einpersonenhaushalte.

"Es geht nicht darum, Frauen zu therapieren, um sie beziehungsfähig zu machen. Sie dürfen Single sein", betont Wachter. Die Gruppe wird von Psychologinnen betreut und versteht sich als geschützter Raum für Sorgen aller Art. "Abends ist kein Partner zum Reden da, man schafft es nicht mehr, noch mal rauszugehen. Was macht man mit all dem, was einem durch den Kopf geht? Bevor du dir ein Achtel Wein einschenkst, geh online und schreib, was dir über die Leber gelaufen ist", erklärt Wachter die Idee.

Keine Zeit für Freunde

Die Wienerin weiß, wovon sie spricht: Während ihres berufsbegleitenden Studiums blieb kaum Zeit für soziale Kontakte; heute, mit einer 60-Stunden-Arbeitswoche, ist das ähnlich. "Die ersten Jahre hat das Umfeld noch Nachsicht, doch dann verliert man einander aus den Augen. 80 Prozent meiner früheren Freunde, die nicht studiert haben, sind mittlerweile Eltern. Da hat man automatisch andere Sorgen und Interessen."

Brauchen Single-Frauen eine Selbsthilfegruppe?
Photo of a happy young woman lying in bedroom typing something on laptop

Ein Studien-Aufenthalt in den USA öffnete ihr die Augen: "Dort ist es gang und gebe, dass man sich online in psychologisch begleiteten Gruppen austauscht. Man bleibt anonym, muss nirgends hin, es ist immer wer da. So etwas wollte ich nach Europa bringen." Seit vier Wochen besteht "Single-Venus"; der Chat ist rund um die Uhr verfügbar, ein Mal pro Woche gibt es einen "Video-Call" mit der Betreuerin. Ab 15 Personen wird eine neue Kleingruppe eröffnet. Themen geben die Mitglieder vor – wer denkt, es gehe nur um Männer, irrt. "Ein häufiges Thema ist Persönlichkeitsentwicklung: Wenn eine Userin sagt, sie möchte im Job selbstbestimmter sein, gebe ich Übungen vor." Die professionelle Psycho-Hygiene kostet: 7,99 Euro zahlen Mitglieder – pro Woche. Zu teuer? "Wenn ich ein Mal im Monat zu einem Therapeuten gehe, zahle ich mindestens 80 Euro", entgegnet Wachter.

Kein Therapie-Ersatz

Der Bedarf einer solchen Gruppe steigt, meint die Psychologin – vor allem für Mittzwanziger. "Die Forschung sagt, dass sich die mentale Entwicklung des Menschen in den vergangenen Jahren verändert hat. Früher war man mit 18 erwachsen, hat bald geheiratet, Kinder bekommen, vielleicht nebenbei gearbeitet. Heute sind die Zwanziger dazu da, sich selbst zu finden, im Beruf Fuß zu fassen. Das ‚Erwachsenwerden‘ hat sich um zehn Jahre nach hinten verschoben." Später, in den Dreißigern, bestehe die Herausforderung darin, neben dem Job, vielleicht neben Kindern, Platz für eine Beziehung zu schaffen.

Es soll keine "Suderanten-Gruppe" sein, betont Wachter. "Wir richten uns an Frauen, die kurzfristig Halt brauchen oder an sich arbeiten wollen." Es gebe eine klare Grenze zur Therapie: "Wir behandeln keine Traumata, Depressionen oder Burn-outs. Wir können nur ein zusätzliches Sicherheitsnetz bieten."

In Zukunft soll es auch eine Gruppe für Männer geben. Noch würde eine solche nicht funktionieren, glaubt Wachter. "Laut Studien sprechen Männer viel weniger über Themen, die sie bewegen." Derzeit gebe es eine "Lovecoaching"-Gruppe – ein "sanfter Einstieg in die Welt der psychologischen Männer-Beratung".

Sogar den Gang zum Therapeuten wollen manche Anbieter durch den Computer ersetzen: Seit Dezember ist etwa die Plattform MindDoc im Internet abrufbar. Per Videochat können sich Patienten mit Essstörungen, Depressionen oder Burn-out von zu Hause aus behandeln lassen. Anders als MindDoc versteht sich das Start-up Selfapy als Ergänzung zu einer herkömmlichen Therapie – als Überbrückung der Wartezeit auf einen Therapieplatz oder als Nachsorge. Neben der einfachen Zugänglichkeit sehen Experten einen Vorteil in der niedrigen Hemmschwelle (manche Dienste können anonym genutzt werden).

Peter Stippl, Präsident des Bundesverbands für Psychotherapie, sieht die virtuellen Therapie-Angebote extrem kritisch: "Gesetzlich darf Therapie nur von Angesicht zu Angesicht stattfinden. Online kann lediglich eine Beratung durchgeführt werden."

Forscher der Universität Linköping kamen in einer Metastudie wiederum zum Schluss, dass Selbsthilfeangebote aus dem Netz genauso effektiv sein können wie eine Verhaltenstherapie – aber nur, wenn sie von einem Fachmann begleitet werden.

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