Big Brother Award an Google und Datenschützer
Die Verleihung der Big Brother Awards - "den Preis, den niemand haben will" - fand wie in den Vorjahren am Vorabend des Nationalfeiertags im Theater im Rabenhof im dritten Wiener Gemeindebezirk statt. Die Liste der nominierten Unternehmen, Institutionen, Personen und Behörden, die sich im Feld der Überwachung, Kontrolle und Bevormundung der Bürger "besonders verdient gemacht" haben, war lang: die beiden Preisträgerinnen vom vergangenen Jahr - Johanna Mikl-Leitner und Beatrix Karl - standen ebenso auf der Liste wie Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, Walter Boltz und Martin Graf vom E-Control-Vorstand, Franz Medwenitsch von der IFPI sowie der SVA-Obmann Christoph Leitl. Doch die Datenschutz-Negativpreise wurden dieses Jahr an andere Damen und Herren verliehen.
Johann Maier
In der Kategorie "Politik" wurde Johann Maier (SPÖ), der Vorsitzende des Datenschutzrats, mit dem Big Brother Award ausgezeichnet. Die Begründung der Jury: "Der Datenschutzrat ist als Kontrollorgan im Datenschutzgesetz festgelegt und die Jury ist der Meinung, dass diese wichtige Aufgabe nicht dem Klubzwang geopfert werden darf." Der Hintergrund dazu: Maier ist Vorsitzender des Datenschutzrats. Dieser hat sich mehrfach und einstimmig gegen die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in Österreich ausgesprochen. Als im Parlament darüber abgestimmt wurde, fehlte Maier aber aufgrund eines "menschlichen Bedürfnisses". Die Vorratsdatenspeicherung, die in Österreich seit 1. April in Kraft ist, wurde mit den übrigen Stimmen der anwesenden Abgeordneten von SPÖ und ÖVP beschlossen. Der Art. 56 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes garantiert den Parlamentariern das freie Mandat.
Larry Page
In der Kategorie "Weltweiter Datenhunger", die es dieses Jahr zum ersten Mal gibt, wurde Google-Chef Larry Page zum Gewinner gekürt. Google hat im März diesen Jahres die Datenschutzregeln für 70 Google-Dienste, darunter YouTube, Gmail, Google Docs, Google+ und der Kalender, vereinheitlicht. Die User-Daten können dadurch miteinander verknüpft werden und Google kann Dienste wie den Echtzeit-Dienst "Google Now" schaffen, die die "jeweils passenden Informationen im jeweils richtigen Moment" liefern soll. Die Jury bemängelt, das Google dem Nutzer keine Wahl gibt, einen ungefilterten Blick in das Netz werfen zu können, sondern stattdessen für den User entscheidet was relevant zu sein hat. Google hat deswegen auch bereits mit 27 EU-Datenschutzbehörden Probleme. „Die Sammlung von persönlichen Daten in solch einem großen Umfang stellt hohe Risiken für die Privatsphäre der Nutzer dar", heißt es in einem Brief der Datenschutzbehörden der EU-Länder an Google-Chef Page.
Kurt Schügerl
In der Kategorie "Kommunikation und Marketing" gab es eine Überraschung: Der Preisträger, Kurt Schügerl von der Digilight Werbe- und Netzwerk GmbH, nahm die Auszeichnung persönlich entgegen. Das war bisher in Österreich erst einmal der Fall (die Post holte sich den Preis 2001 ab). Die Firma Digilight hat im Rahmen eines mittlerweile beendeten Pilotprojekts in insgesamt sieben Wiener ÖBB-Bahnhöfen auf ihren LCD-Screens digital nach Straftätern und Vermissten fahnden lassen. Laut Angaben von Digilight wurden alle veröffentlichten Fahndungsbilder zuvor durch die zuständige Staatsanwaltschaft autorisiert.
Die Big Brother Awards-Jury prangerte an, dass Fahndungsfotos im öffentlichen Raum genauso wie Warndurchsagen nur die Paranoia und ein Gefühl der ständigen Bedrohung verursachen würden, ohne zur tatsächlichen Ergreifung eines Gesuchten zu führen. Wie die meisten Überwachungsmaßnahmen werde auch diese Zurschaustellung der Bilder als Maßnahme der gefühlten Sicherheit verkauft. Dem Bürger werde Sicherheit durch Überwachung suggestiert. Die Begründung der Jury für die Vergabe des Preises an Diglight lautet: "Die öffentliche Zurschaustellung von nicht rechtskräftig Verurteilten ist eine moderne Form des Prangers, die eine Kultur des Vernaderns fördert. Eine derartige Fahndung ist europaweit einzigartig - die Jury erachtet das Pilotprojekt als gescheitert."
Stellungnahme des Preisträgers
Der Geschäftsführer von Digilight nahm den Gewinn "mit Humor" entgegen und ergriff damit zugleich auch die Gelegenheit zu einer Stellungnahme: "Wir haben nicht den Eindruck, dass durch unsere Screens der Eindruck erweckt wird, Österreich sei ein unsicheres Land. Ganz im Gegenteil: Es wird eher der Eindruck erweckt, dass die Sicherheitsbehörden auch bereit sind, mit neuen Methoden für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen." Schögerl wies außerdem den Vorwurf der Überwachung zurück. "Wir überwachen niemanden, kontrollieren niemanden und auch mit Bevormundung können wir nicht wirklich in Verbindung gebracht werden. Wir sind sehr verwundert darüber, dass es Personen gibt, die eine Fahndung nach Verbrechern als "Überwachung" darstellen wollen. Vielleicht sollten sie die Sache einmal aus der Sicht eines Betroffenen betrachten, der beraubt oder schwer verletzt wurde", empfahl Schügerl.
Barbara Prammer
In der Kategorie "Behörden und Verwaltung" bekamen die Nationalratspräsidentin Barbara Prammer den Big Brother Award dafür, dass das österreichische Parlament auf seiner Parlaments-Website bei den Bürgerinitiativen und Petitionen einen Google-Webdienst namens "reCaptcha" einsetzt. Dadurch weiß Google, wer in Österreich welches Bürgeranliegen offiziell mit seiner Unterschrift unterstützt hat. Die Big Brother Awards-Jury begrüßt zwar die direkte Demokratie, weist jedoch darauf hin, dass das Parlament Maßnahmen, die in die Grundfesten der Demokratie eingreifen - und das Parlament ist der zentrale Ort jeder Demokratie - nur mit großer Umsicht und Bedacht zu setzen habe. "Hierbei trägt es die besondere Verantwortung den demokratischen Prozesse korrekt umzusetzen. Insbesondere müssen die Wähler und das Wahlgeheimnis geschützt werden", heißt es. Das Parlament hat eine Stellungnahme angekündigt.
"Wollen Denkanstoß mitgeben"
Der Veranstalter des Big Brother Awards, Georg Markus Kainz vom Verein quintessenz, hat nach wie vor die Hoffnung, dass gewisse Dinge repariert werden. "Für das Parlament wäre es ein leichtes auf Google reCaptcha zu verzichten und stattdessen eine hausinterne Lösung einzusetzen. Es ist uns auch in der Vergangenheit bereits mehrfach gelungen, dass Missstände nach der Verleihung in Kürze behoben wurden. Wir wollen den handelnden Personen auch einen Denkanstoß mitgeben."
Stellungnahme der Parlamentsdirektion
Die Parlamentsdirektion war bei der Award-Verleihung zwar nicht persönlich anwesend, hat aber eine Stellungnahme geschickt und dabei auch versprochen, dass bereits an einer Lösung gearbeitet werde. In der Stellungnahme ist außerdem folgendes vermerkt: "Der Einsatz eines Captchas war notwendig, um sicherzustellen, dass die Unterzeichnung der Petitionen und Bürgerinitiativen durch Menschen und nicht durch Maschinen erfolgt. Zu diesem Zweck wurden eine Reihe von Captchasgetestet, wobei sich herausstellte, das das von einem internationalenAnbieter am besten geeignet erschien. Die Eingabe des Captchas im Zugeder Unterstützung einer Bürgerinitiative/Petition kann aberunterbleiben, wenn sich der potentielle Unterstützer auf derWebsite des Parlaments registriert, dabei auch ein Captcha nutzt, und inder Folge die Petition/Bürgerinitiative unterstützt (wobei dienochmalige Eingabe des Captchas nicht notwendig ist). Mit dem Versendendes Captchas wird die IP-Adresse des jeweiligen Computers, aber nicht die Identität des Unterstützers bekannt gegeben.Die Parlamentsdirektion ist – unabhängig von der Nominierung – damit befasst, ein neues Captcha zu entwickeln und in absehbarer Zukunft zum Einsatz zu bringen."
Frank Wartenberg
In der Kategorie "Business und Finanzen" wurde Frank Wartenberg, Geschäftsführer von IMS Health, zum Gewinner gekürt. Das Marktforschungsinstitut IMS Health mit Hauptsitz in New Jersey hat rund 260 Millionen Patientendaten in seinem Portfolio. Auch von Österreichern, denn hier werden Ärzte von Softwarefirmen, die die Daten IMS Health zur Verfügung stellen, mit einer Aufwandsentschädigung angelockt. Da es sich um Daten wie Geschlecht, Geburtsjahr, Krankenscheinart, Diagnose, Medikamente, Dosierung, Therapie oder Laborwerte handelt, die "anonymisiert" an IMS Health geliefert werden, lassen sich allein damit Rückschlüsse auf einzelne Personen ziehen. Für die Jury entsteht nicht nur eine neue Dimension des Gläsernen Patienten sowie ein Handel mit Gesundheitsdaten, sondern auch eine transparente Arztpraxis, Daten über die sich jeder Pharmavertreter freuen kann.
Lobbyisten
Einen Sonderpreis für ein "lebenslanges Ärgernis" bekamen die Lobbyisten von allen ACTA-Nachfolgern. Das internationale Handelsabkommen ACTA bekam im EU-Parlament im Juli zwar seinen Todesstoß. Doch der Geist von ACTA, mit dem die Freiheit im Internet beschränkt werden soll, lebt weiter. Dieselben Lobbys, die für die Ideen der letzten Jahre geworben haben, suchen nach neuen Wegen, um ihre Ideen weiterhin durchzusetzen. Sie verstecken ihre Absichten hinter geheimnisvollen Abkürzungen wie CETA, IPRED 2, CISPA oder TPP. Auch diese wurden, ähnlich wie ACTA, im Geheimen ausverhandelt. Der Rat an alle Netzaktivisten der Big Brother Award-Jury laute daher: Wachsam bleiben und den Elan von ACTA auch für die neuen Versuche der Lobbys, die Freiheit im Internet einzugrenzen, mitnehmen.
ELGA
Bei der "Volkswahl", bei der einzig und allein die Stimme der Bürger zählte, fiel die Entscheidung dieses Jahr auf die Elektronische Gesundheitsakte ELGA. Mit ELGA werden künftig alle Befunde und gesundheitsrelevanten Dokumente der Patienten elektronisch gespeichert. Der Obmann der ARGE Daten, Hans Zeger, verlas die Laudatio.
Positivpreis für WikiLeaks-Aktivist
Durch die Gala führte wie auch im Vorjahr Dieter Chmelar, der dieses Jahr mit einem Gast aus dem Publikum verbal zu kämpfen hatte. Zudem traten unter anderem die Künstler dot.matrix und Don Gon auf, die mit Gameboys aus dem Jahre 1989 gegen einen iPod touch und das neue iPhone 5 in einem Wettkampf um die beste Technologie zum Musikmachen antraten, sowie die Showband Love & Fist. Auch Jacob Appelbaum, Programmierer und WikiLeaks-Unterstützer, war zu Gast, als die Datenschutz-Negativpreise verliehen wurden. Appelbaum bekam für sein Engagement beim Anonymisierungsdienst Tor den Defensor Libertatis, den einzigen Positivpreis des Abends, verliehen und freute sich über diese Auszeichnung.
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