Viele suchen Liebe, manche suchen Sex
Das Urteil der Anthropologin ist gut und schlecht, je nachdem: Helen Fisher von der Rutgers University in New Jersey gibt Menschen den wissenschaftlichen Freibrief zur Untreue. Sie sagt, Menschen fühlen zwar von Natur aus romantische Liebe, aber nicht unbedingt nur für eine Person gleichzeitig. Als ob das die Idee der Monogamie nicht genug erschüttert, betont sie weiters das sexuelle Begehren, das wir auch für mehrere Menschen empfinden können. „Wir erleben oft eine serielle Monogamie, also Partnerwechsel in regelmäßigen kurzen Abständen.“
Weil sich die westliche Gesellschaft aber zu emotionaler und sexueller Exklusivität entschieden hat, entsteht so immer öfter ein, sagen wir: Spannungsverhältnis. Auf den Online-Dating-Markt drängen zunehmend Websites, die das passende Entspannung-Verhältnis bieten. 700.000 Menschen, also jeder zweite heimische Single, nutzen Dating-Seiten und viele gehen auf der Suche auf solche Seitensprung-Websites. So erklärt sich die große Kundenzahl. Aber einige wollen wirklich nur den heimlichen Sex außerhalb des eigenen Lebens.
Selbstversuch
Flop
Sie wusste schon, dass er kein Seelenverwandter wird, aber sexuell reizvoll ist. In einer Bar abseits beider Heimatorte trank man zwei Gläser Wein, nahm sich ein Zimmer. Danach wollte Brunhild heim. „Dort zu schlafen wäre zu intim gewesen.“ Der Sex? „Die Fantasien, über die er vorher geschrieben hatte, wurden nicht umgesetzt. Schade.“ Für ihren Orgasmus sorgte Brunhild selbst. „Ich hab’ gemerkt, das ist nichts für mich. Es ist plumper, als in einer Bar abgeschleppt zu werden, zu ausgemacht, zu bestellt.“ Denn auch wenn der Chat gut klingt: Für guten Sex muss man einander riechen können. Sagt auch Helen Fisher.
„Alles kann, nix muss“ – wer sich im „Affärenland“ des Online-Datingmarkts öfters herumtreibt, wird diesem platten Slogan, dessen sich User gerne bedienen, tausendfach begegnen. Wahnsinnig fad – aber vielen fällt dazu einfach nichts Originelleres ein. Doch vermutlich symbolisiert dieser Satz punktgenau jenes Lustprinzip, nach dem sich viele Menschen so sehnen: maximale Unkompliziertheit, ohne Wenn und Aber, ohne Ansprüche und ohne kompliziertes Herumgetue.
Verkehrstüchtige
Wohl deshalb entstand vor zirka zehn Jahren die neue Fremdgeh-Industrie, eine Art Selbstbedienungsladen für Verkehrstüchtige. Online-Portale mit so klingenden Namen wie „Meet to cheat“, „First affair“ oder „Lovepoint“ (wirbt übrigens mit „TÜV-geprüftem Datenschutz“) locken mit beischlafwilligen Abenteurerinnen und Abenteurern. Sie alle gieren nach unkompliziertem Sex – als Alternativprogramm zum erotischen Einerlei der Ehe.
Lebenshunger
Eine moderne Bedürfnislücke, die da geschlossen wurde. Sie wurzelt im unendlichen Lebenshunger einer Generation, die auf schnelle Befriedigung anspringt. „Das Leben ist kurz. Gönn dir eine Affäre“, wirbt etwa das gehackte Seitensprungportal Ashley Madison für sein unmoralisches Angebot. Als Grundlage dafür dient die genitale Faktenlage: Jeder zweite Bürger in Ländern wie Deutschland oder Österreich geht im Laufe seines Lebens zumindest ein Mal fremd. Außereheliche Affären gehören längst zu einem geschmeidigen Lebenslauf. Und die neuen digitalen Möglichkeiten erleichtern diesen Freiheitsdrang – gustieren kann man ja schon einmal im Büro.
Multipel
Marketing-Gag der Anbieter ist die süße „Qual der Wahl“ – die multiplen Beischlaf-Möglichkeiten eines scheinbar gigantischen Dating-Pools. Das gaukeln die Portale vor. Aber natürlich wird bei den Zahlen gerne maßlos übertrieben, damit die Kunden das Gefühl kriegen, wie in einer Shopping-Mall unterwegs zu sein. Motto: Für jede Neigung das passende Angebot – sprich: die passende Praktik.
Die Autorin Catherine Hakim, Expertin für Familien- und Sozialpolitik („The new rules. Internet, Playfairs and Erotic Power“) ernüchtert allerdings: Der Verabredungsmarkt für Seitensprünge wird vor allem von Männern bevölkert. Heißt: Einer interessierten Frau stehen auf Datingportalen zehn Männer gegenüber. Und die beschreibt sie so: konservativ und unauffällig, meist zwischen 45 und 55 Jahren, Krawatten- und Anzugträger, zumindest unter der Woche. Pikanterie am Rande: Die meisten stellen sich besser dar, als sie in Wirklichkeit sind.
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