Aborigine Anita Heiss: "Wir sind alle von irgendwo anders"

Aborigine Anita Heiss: "Wir sind alle von irgendwo anders"
Anita Heiss hat Aborigine- und Salzburger Wurzeln. Der Weg in eine bessere Zukunft der Menschen führt vor allem über ihre Geschichte.

Die australische Autorin Anita Heiss ist halb Aborigine, halb aus dem Lungau. Ihre Mutter vom Wiradjuri-Stamm, ihr Vater aus St. Michael. Aus dem genetischen Spagat wurde eine Berufung: An der Universität und in ihren Büchern behandelt Heiss die Macht von Stereotypen und wie die moderne Gesellschaft in eine bessere Zukunft wachsen kann.

Zwischen Lesungen und Vorträgen in Wien erklärt sie dem KURIER, wieso ihre Ideen nicht nur in Australien, sondern auch in Europa funktionieren können.

KURIER: Wie können Menschen in Frieden zusammenleben?

Anita Heiss: Politiker müssen mehr mit Menschen reden. Besonders mit jenen, die unter der Geschichte leiden mussten. Das Problem ist, dass die meisten Australier diese Geschichte gar nicht kennen. Oder nur die Version der Kolonialisten. Ich lernte in der Schule von den Weltkriegen, aber nicht vom Eroberungskrieg in Australien. Selbst das Wort "Eroberung" wurde nicht verwendet. Mittlerweile schreiben auch Aborigines die Geschichte aus ihrer Sicht und wir denken nach, was vor 1770 war, bevor die Weißen kamen.

Ist Europa da weiter?

Man muss unterscheiden. Die Multikulturalität ist in Australien sicher weiter entwickelt als in Europa, weil unser Land von Migranten aufgebaut wurde und seit Jahrhunderten verschiedene Ethnien zusammenleben: Melbourne hat die zweitgrößte griechische Bevölkerung nach Griechenland, 45 Prozent der Australier sind britischer Herkunft, jeder Zehnte irischer oder italienischer, vier Prozent holländischer oder deutscher, dazu kommen viele Asiaten. Wir sind alle von irgendwo anders. Aber uns fehlt noch die Reife, über Geschichte zu reden. Es ist auch hart, es auszusprechen: Meine Vorfahren haben Zehntausende Aborigines-Kinder verschleppt, kulturellen Völkermord betrieben, ich lebe von den Vorteilen der Enteignungen. Wenige moderne Menschen wollen dieses Gespräch führen, dabei wäre es wertvoll, um zu wissen, wer man ist und wie man sich entwickelt. Vielen Australiern fehlt auch eine nationale Identität: Sie haben als Leitfiguren Farmer, Kriegslegenden, Surfer und Crocodile Dundee. Alles Männer, alle weiß. Solche Probleme gibt es auch in Europa und den USA.

Aborigine Anita Heiss: "Wir sind alle von irgendwo anders"
Interview mit der australischen Schriftstellerin Anita Heiss. Sie ist Aborigine und Angehörige des Wiradjuri-Stammes im australischen Bundesstaat New South Wales. MQ Wien am 06.05.2015

Auch in Europa fordern viele, man soll die Geschichte ruhen lassen, weil sonst kein Vergeben möglich ist.

Vergeben ist eine der großen Eigenschaften, die wir zur Verfügung haben. Es ist schwierig, aber es geht nur, wenn man aus der Geschichte lernt. Viele Siedler Australiens sagten: So, ich bin da, schließen wir die Tore! Und heute sind wir wohl die einzige Demokratie der Welt, die Asylwerber direkt ins Gefängnis steckt.

Im Umgang mit Bootsflüchtlingen bringen viele Australien als Vorbild: Es versuchen weniger die Überfahrt, weil die Regierung alle strikt zurückbringt.

Das stimmt nicht. Es sinken noch immer Boote, die Regierung sagt es nur nicht mehr. Asylwerber wurden zu Sündenböcken gemacht, ein klassisches Stereotyp. Würde man denn diese Boote sinken lassen, wenn darin Schweizer und Deutsche sitzen? Da gäbe es wohl genug Hubschrauber zur Rettung.

Was ist das Stereotyp des Aborigine heute?

Neue Studenten sind von mir immer enttäuscht. Die sind aufgeschlossen, aber erwarten unterbewusst das Bild, das vermittelt wird: alten Mann mit grauem Bart und Speer, oder dass ich die Zeit vom Sonnenstand ablese. Stereotype entstehen aus Erwartungen. Dabei ist die Entwicklung entscheidender als die Rasse: Ich hatte das Glück einer Ausbildung und lebe in Sydney. Aborigines sind Opernsängerinnen und Chefköche. Viele leben in Armut, andere auf dem Land. Es kommt auf die Chance an, die man bekommt. Das muss man aber vorsichtig vermitteln: Ich versuche in meiner Arbeit vor allem Stereotype zu brechen, aber man muss innerhalb des Systems arbeiten und die Menschen bei ihrem Wissensstand und ihrem Gefühl abholen. Bei uns wie in Europa.

Bücher: Unter dem Titel "Am I black enough for you?" veröffentlichte Heiss ihre Memoiren. In "Who Am I? The diary of Mary Talence" geht es um entwurzelte Aborigines. Info: www.anitaheiss.com

Aborigine Anita Heiss: "Wir sind alle von irgendwo anders"
Anita Heiss, Aboriginal, Aborigines, Buchcover Am I Black enough for you

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