7 Tage Ruhe - 4 Selbstversuche

Sieben Tage lang auf etwas verzichten, die innere Ruhe entdecken, sich reinigen – wie vier KURIER-Redakteure es versucht haben.
Die kommenden Tage bis Ostersonntag waren früher der Einkehr gewidmet. Eine gute Gelegenheit, die schon wieder verpasste Fastenzeit nachzuholen: Vier Redakteure verzichteten auf Stress, Essen, Handy und Reden.

Am heutigen Palmsonntag beginnt die Karwoche, früher "stille Woche" genannt. Aber eine Gesellschaft, die Stille nicht mehr gewohnt ist, will das gar nicht wissen. Für viele sind die Tage bis Ostern eine Urlaubs-, für noch mehr normale Arbeitswoche. Höchstens ist die Karwoche als Ende der Fastenzeit noch die unangenehme Erinnerung, auch diesmal weder Verzicht noch Einkehr geschafft zu haben.

Dabei könnte genau die einst "stille" Woche zur Mini-Fastenzeit genutzt werden: Sieben Tage lang auf etwas verzichten, die innere Ruhe entdecken, sich reinigen – wie vier KURIER-Redakteure es versucht haben. Und kommenden Sonntag – frisch und vielleicht etwas leichter – auferstehen.

Im Wesentlichen hat auch Jesus Christus, um dessen letzte Tage es in der Karwoche geht, nichts anderes getan, als er wochenlang in der Wüste war – er bereitete sich auf die Erlösung vor. Die Ostergeschichte erzählt die aufregenden Vorkommnisse, die Vorlage für Romane, Filme und ein Musical wurden: Am Palmsonntag jubeln die Menschen Jesus beim Einzug nach Jerusalem noch mit Palmwedeln zu. Dann der Verrat durch Judas, der Abschied, die Verleugnung und das Volk, das die Kreuzigung verlangt (siehe nächste Seite unten).

Jesu Leid, Tod und Auferstehung sind die Basis des christlichen Glaubens. Aber weil es die moderne Gesellschaft mit Religion wie mit Stille hält, dient das nicht mehr als Motivation zur Einkehr. Die ergibt sich dafür aus Fortschrittsproblemen dieser Gesellschaft. So wird heute statt auf Fleisch gerne auf das Auto verzichtet. Noch neuer ist der Hype um "Digital Detox" – Internet, Smartphone, eMail und Co. ein paar Tage weglassen. Ein deutsches Forscherduo hat jüngst im Magazin Spiegel die Ursache für diesen Verzichtswunsch in Zahlen gegossen: Ihre Handy-App "Menthal" zeichnet die tägliche Nutzung der rund 300.000 App-User auf. Ergebnis: Alle 18 Minuten eine Aktion, viele kommen auf über hundert Kurznachrichten pro Tag.

Wie groß der Drang auf die Kommunikations-Abstinenz mittlerweile ist, zeigen auch Angebote wie jene der Alpinschule Innsbruck (ASI), die ihre Trekkingtouren von Ostgrönland bis Himalaja nun mit dem Mascherl "Digital Detox" anbieten.

Neben vielen Ratgebern, die das Sorgenpotenzial der Überhastung auch erkannt haben, erschien erst kürzlich "Slowtime! Einfach mal anhalten" von Johannes Lauterbach. Seine "Tipps zum Entspannen" (siehe lila Kreise) teilen sich in Mini-Meditationsübungen und solche, die nur anfangs esoterisch-banal klingen. Sie erweisen sich als kleine, machbare Übungen, die das Zeug haben, die kommende Woche "stiller" zu machen.

Die kleine Einkehr

Lauterbach erklärt das Problem: "Seit Anfang des 19. Jahrhunderts hat sich unser Kommunikationstempo um das zehnmillionenfache beschleunigt. Dagegen reduziert sich die durchschnittliche Schlafzeit um zwei Stunden." Und weil selbst Freizeit zum Abarbeiten von To-do-Listen statt zur Entspannung genutzt wird, bleibt die Freude am Leben auf der Strecke. Lauterbachs These: Balance zwischen Anspannung und Entspannung, nicht nur nach Dienstschluss und am Wochenende, sondern als ins Leben integrierte kleine Happen.

Diese Entspannung führe zu höherer Selbstwahrnehmung und schlussendlich Selbstbestimmung. "Je selbstbestimmter wir eine Situation erleben, desto entspannter und gelassener können wir uns verhalten." Quasi die Umkehr des Teufelskreises.

Klingt nach Ostergeschichte: Mensch Jesus vertraut dem Göttlichen in sich, um wirklich erlöst zu werden.

Etwas weniger ins Handy zu starren – das habe ich mir schon vor einem halben Jahr vorgenommen. Dabei ist es dann aber auch geblieben. Bis vor ein paar Wochen. Da ging ich mit meinem Hund spazieren – das Smartphone in der Jackentasche. Plötzlich kam mir eine Frau entgegen – joggend, dabei gleichzeitig (!) in ihr Handy starrend. Wie entlarvend – für mich, für diese Gesellschaft, für diese Zeit, durch die wir hetzen. Das dachte ich und verordnete mir einen Digital-Detox-Sonntag.

Keine Kinderjause. Berufsbedingt (schöne Ausrede) passiert nämlich jeden Morgen folgendes Ritual: Ich wache auf, checke per Smartphone Nachrichten, Mails und Social-Media-News. Dann werfe ich den Laptop und das Tablet an – wer weiß? Das alles nicht zu tun, bedingt eine bewusste Entscheidung. Mein Mantra: Lass es! Oder: Jetzt nicht. Der Digital Junkie in mir raunt: Was, wenn was ist? Eine Frage, die nagt. Man frühstückt, erliegt kurz dem Reflex, das Projekt wieder sausen zu lassen und "nur ein bissi" zu schauen. Ungefähr so, als würde ich als Junkie "nur ein bissi fixen". Nach zwei Stunden "ohne" fühle ich mich getrennt von der Welt und den Dingen, die in ihr passieren. Als befände ich mich in einem Vakuum, einer Blase, in der nix passiert. Das macht zunächst nervös und unruhig. Mit dem starken Gefühl, etwas zu versäumen. Mit der Zeit wird offensichtlich: Es passiert mehr denn je. Weil ich mich mehr denn je inneren Bildern widmen kann. Weil mein Gedankenfluss nicht unterbrochen wird und ich Dinge zu Ende denke. Ich werde ruhig, komme "zu mir", komme mir näher. Gleichzeitig erweitert sich mein Blick – auch die Augen danken. Fazit: Gut war’s – das Dacapo gibt’s schon heute.

Essen ist für mich Genuss. Es ist in Ruhe den Kopf ausschalten und die Sinne wahrnehmen lassen. Bevor ich abgehetzt zwischen Computer und Telefon etwas herunterschlinge, das mir gar nicht schmeckt, nur um den Magen zu füllen, esse ich lieber gar nichts. Für das Experiment einen Fastentag einzulegen, scheint mir ein guter Anlass, mich mit einem besonderen Mahl zu belohnen.

Gleichzeitig weiß ich, dass mein sonst so fröhliches Gemüt für mein Umfeld unerträglich grantig wird, wenn mein Blutzuckerspiegel ein gewisses Level unterschritten hat. Um mir und allen anderen dieses Leid zu ersparen, habe ich stets etwas zu essen in Griffweite – das geht so weit, dass ich immer Schokolade oder Zuckerl in der Tasche mit mir trage. Quasi als Stimmungsaufheller für Notfälle.

So gibt es zum Frühstück also Wasser statt meinem sonst üblichen Kakao mit Obst. Der Magen gluckst und lässt sich das gefallen. Er ist gewohnt, auf etwas Gutes zu warten. Als mittags der Duft von Schnitzel und Pommes zum Fenster hereinweht, wird es gemein. Ich fülle den inzwischen leeren Wasserkrug neu auf und überlege, mit welchen Köstlichkeiten ich mich belohnen werde. Hilft nicht. Macht noch hungriger.

Der Stresspegel steigt, die Konzentration lässt nach, die Reizschwelle sinkt. Wenn Essen Genuss ist, ist Nicht-Essen dann Ekel? Im Magen macht sich Übelkeit breit, er ist beleidigt. Jetzt könnte ich wahllos etwas herunterschlingen. Ich bin froh, die Wahl zu haben und entscheide mich dagegen – der Kakao am nächsten Morgen ist Genuss pur.

Es gibt zwei Situationen des Schweigens: Alleine, zum Beispiel in den Bergen, auf einsamen Wegen, in wenig frequentierten Hütten. Oder im Alltag. Im ersten Fall glaubt man an den kleinen Philosophen in sich.

Im zweiten Fall glauben die anderen, dass man spinnt.

Ich habe beides versucht und beides ist gut. Tut gut. Und nach einiger Zeit macht es auch keinen Unterschied, ob man nicht spricht, weil keiner da ist, oder weil man es so will. Kurioserweise schließt sich der Spalt sogar: In den Bergen wollte ich nach Stunden einfach etwas sagen, im Selbstgespräch zumindest die eigene Stimme als Beleg, dass man nicht alleine ist. Im Büro und unter Freunden entwickelt man mit jedem nicht gesagten Satz eine größere Freude an der Stummheit. Das liegt auch daran, dass die anderen einen triezen und man es ihnen beweisen will. Aber vor allem werden die unausgesprochenen Gedanken besser und besser. Worte sind schnell und können nie so bedacht gewählt sein wie ein Satz, den man zehn Mal formuliert und dann ungesagt wegwirft.

Ich habe dabei entdeckt, wie wenig Wichtiges gesagt wird – von mir und von anderen. Und als nach einigen Stunden der unkontrollierbare Drang überraschend nachließ, sich stets Antwortsätze zu gerade Gesagtem zu überlegen, machte sich im Kopf Entspannung breit.

Wahrscheinlich braucht man einmal einen radikalen Schweigetag, um diesen Zustand zu entdecken. Dann sollte man ihn aber in die Routine einbauen. Nicht nichts sagen, sondern weniger. Viel weniger. Fast.

Zazen klingt schon irgendwie, als ob es sich zaaahhhhn tät. Drei Stunden Zen-Sitzen, um zu schauen, wer stärker ist – ich oder ich. Immerhin soll die Meditationstechnik Körper und Geist zur Ruhe bringen.

Minute 1: Haltung – heast mir tut das Kreuz weh. Das halte ich keine zehn Minuten durch.

Sieben Sekunden später: Halblotus – wann wird es je bei mir zum Volllotus reichen? Eigentlich ist das frustrierend.

Minute 3: Einatmen – ausatmen – nix denken – und wenn doch, die Gedanken gleich wieder gehen lass ... Ich muss ganz dringend mit dem Frühjahrsputz beginnen, auch die Terrasse muss hergerichtet werden und dann das Interview, das ich morgen führen muss, dafür sollte ich noch ganz dringend ... einatmen – ausatmen – nix denken ...

Minute 7: Wie viele Minuten wohl schon um sind? Eigentlich hätt’ ich ganz dringend viel Wichtigeres zu tun. War sowieso a Schnapsidee von der Chefin, diese Geschichte über "Slow down".

Minute 17: So, jetzt sind mir auch noch die Zehen eingeschlafen.

Drei Minuten später: Sie schlafen noch immer, bald werden sie schnarchen.

1 Stunde, 18 Minuten: Warum fällt mir ausgerechnet jetzt ein, dass ich eine neue Küche möchte? Atmen! Gedanken gehen lassen! Jetzt ist es passiert: Ich beginne die Küchenkastln im Kopf zu planen! Als ob ich sonst keine Sorgen hätt’.

1 Stunde, 33 Minuten: Die Küche ist bald fertig.

1 Stunde, 34 Minuten: Ich versuche es mal mit zählen. Eins, zwei, drei, vier, ... 257, 258, 259, ...

Nix tut weh, nix denkt durch mich, nix ist wichtig. Was? Die drei Stunden sind schon um? Schade!

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