1968: Alltag zwischen Heintje und Hair

1968: Alltag zwischen Heintje und Hair
1968 brachte bunte Tapeten in die Wohnzimmer, Himmeltau in die Babys und den Rassismus ins Kino.

Die Wiener Aktionisten Günter Brus, Otto Muehl und Oswald Wiener inszenieren „Kunst und Revolution“, die Medien nennen es „Uni-Ferkelei“. Valie Export geht mit dem „Tapp und Tastkino“ über blankem Busen auf die Straße und mit Peter Weibel an der Hundeleine. Arik Brauer, Ernst Fuchs und Rudolf Hausner verwirklichen sich in der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“ – Künstler prägten ’68, aber nicht nur:

Sport: Der Skirennläufer Karl Schranz geht als „kürzester Slalom-Olympiasieger aller Zeiten“ in die Geschichte ein. Kollgin Olga Pall feiert die Erfolge – als Olympiasiegerin, Weltmeisterin in der Abfahrt und Sportlerin des Jahres. Niki Lauda wird bei seiner Premiere mit einem Mini Cooper S 1300 Zweiter seiner Klasse. Der SK Rapid Wien gewinnt die Nationalliga. Das Nationalteam nimmt an der offiziellen Fußball-Europameisterschaft teil, Italien gewinnt.

Film: Im April wird der Science-Fiction-Film „2001: Odyssee im Weltraum“ uraufgeführt. Im Dezember feiert der Italowestern „Spiel mir das Lied vom Tod“ Premiere. Die Oscars für die besten Hauptdarsteller gehen an Rod Steiger in „In der Hitze der Nacht“ und Katharine Hepburn in „Rat mal, wer zum Essen kommt“. In beiden Streifen spielt Rassismus eine Rolle. Die Filmfestspiele in Cannes werden wegen der Pariser Mai-Unruhen abgebrochen. Im deutschsprachigen Kino kommen Uschi Glas und Werner Enke „Zur Sache, Schätzchen“.

Fernsehen: Auch die Fernsehwelt ist gerade noch Schwarz-Weiß. Der ORF verzeichnet trotzdem eine Million angemeldete Zuschauer und feiert den Rekord mit dem damaligen Fernsehdirektor Helmut Zilk im Hauptabendprogramm. Das Jugendmagazin „Ohne Maulkorb“ und „Apropos Film“ sind bereits auf Sendung, „Guten Abend am Samstag“ mit Heinz Conrads zählt zu den unterhaltsamen Dauerbrennern, die satirische „Heiße Viertelstunde“ startet gerade. Bei „Quiz Einundzwanzig“ und „Einer wird gewinnen“ kann mitgerätselt werden. Der ORF-Almanach weist den Anteil der Fremdprogramme mit 45 Prozent aus. John Steed & Emma Peel in der britischen Action-Krimi-Staffel „Mit Schirm, Charme und Melone“ und die Cartwrights in der US-Westernserie „Bonanza“ sprechen auch Deutsch.

Musik: Die Hitparaden sind geprägt von Gegensätzen. Aus den Radios singen Heintje und Peter Alexander genauso wie Janis Joplin und die Bee Gees, keiner trompetet wie Louis Armstrong. Die „Nummer 1-Hits Österreich“ listen zwischen Jänner und Dezember je zwei Singles von den Beatles (Lady Madonna; Hey Jude) und von Adriano Celentano (Eravamo in 100.000; Azzurro) auf. Beim Eurovision Song Contest tritt Karel Gott für Österreich an: „Tausend Fenster“ von Udo Jürgens landet auf Platz 13 von 17. Auf der Weltbühne rocken die Rolling Stones mit Jumpin‘ Jack Flash. Paul Mauriat, Diana Ross sowie Simon & Garfunkel spielen international die erste Geige. Das Hippie-Musical Hair wird am Broadway aufgeführt und schreibt Popgeschichte.

Literatur: Bücher erscheinen zunächst in deutschen Bestseller-Listen. Der österreichische Schriftsteller Johannes Mario Simmel und sein englischer Kollege Eric Lawson Malpass unterhalten die breite Masse. Wer auf sich hält, liest Peter Handke und Ingeborg Bachmann. Ilse Aichinger erhält den Anton Wildgans-Preis. Thomas Bernhard bekommt den „Österreichischen Staatspreis für Romane“, seine Dankesrede wird zum Skandal.

Daheim: Bunt geht es auch daheim zu: Traditionell, farbig, exotisch und repräsentativ – so sehen zumindest Wohnzeitschriften das moderne Zuhause. Die eigenen vier Wände bekommen gemusterte Tapeten, Einbauküchen und einen Tiefkühler. Glastische und einzelne Designer-Stücke in leichten Regalen statt schweren Eichenmöbeln sind en vogue. In den Kinderzimmern liegen Matador, Lego und Fisher Price. Die Spielzeugbesitzer sind mit Hipp, Alete und Himmeltau groß geworden. Die Barbie, 11, lächelt neuerdings mit leicht geöffneten Lippen. Matchbox-Autos fahren wegen der schnelleren Hot-Wheels-Modelle in die Krise.

Unterwegs: Die Kleinwagen auf der Straße werden ihrem Namen gerecht. Weiße Fiat 500 L, orange VW 411 und silberne Mercedes-Benz 300 SEL haben freie Fahrt. Der erste Fort Escort – wegen seines charakteristischen Kühlergrills bald „Hundeknochen“ genannt – wird in Marokko der Presse vorgestellt. Der Peugeot 504 – mit Einzelradaufhängung und Scheibenbremsen Hightech – bekommt den Spitznamen „Gallischer Mercedes“. Laut Österreichischer Gesellschaft für historisches Kraftfahrwesen werden 130.635 Autos neu zugelassen – bei einem Bestand von 1.056.290 PKW. Der Wiener Gemeinderat beschließt den Bau eines U-Bahn-Netzes, bis zur Eröffnung der ersten Teilstrecke dauert es noch zehn Jahre.

Urlaub: Bella Italia, dolce Vita – wir kommen. Knapp 2,5 Millionen Österreicher planen ihren Urlaub, etwas mehr als die Hälfte bleibt dann 1969 im Land, soweit Zahlen der Statistik Austria. Der Großteil der 1.088.000 Grenzgänger reist an die Adria. Dort sind von der 68er-Bewegung maximal farbenfrohe Bikinis zu sehen.

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