Karasek: Seine Spezies ist akut bedroht

Wer das Glück hatte, ihm persönlich begegnet zu sein, wird doppelt betroffen sein: Hellmuth Karasek war nicht nur ein kluger Kopf, sondern auch einnehmend und sympathisch. Es gibt leider nicht mehr viele, die all das vereinen, was Karasek vereinte. So tragisch es ist: Es handelt sich nicht nur um den Tod eines Einzelnen, eine ganze Spezies ist vom Aussterben bedroht. Die Spezies der Universalgelehrten.
Karasek, vierfacher Vater und verheiratet mit der Literaturkritikerin Armgard Seeger, trat am Dienstag in Hamburg seine letzte Reise an. Er war primär Journalist und Kritiker, viele Jahre beim Spiegel, aber auch bei der Zeit. Bei ersterem Magazin verantwortete er als Feuilletonchef eines der berühmtesten Cover: Marcel Reich-Ranicki zerreißt (wortwörtlich) das Buch "Ein weites Feld" von Günter Grass. Das war im Jahr 1995. Vier Jahre später erhielt Grass den Nobelpreis.
Karasek: Seine besten Zitate - und ein Witz
Quartett-Spieler

Wort-Spieler
Karasek war aber selbst auch Autor (teilweise unter dem Pseudonym Daniel Doppler). Er war Denker, Formulierer, Mitgestalter, Vermittler und noch vieles mehr.
Geboren wurde Karasek 1934 in Brünn, seine Familie floh Ende der Zweiten Weltkrieges vor den Russen nach Sachsen-Anhalt. Er ging in der ehemaligen DDR zur Schule, studierte aber ab 1952 in Westdeutschland Germanistik, Geschichte und Anglistik. "Ich habe in zwei Diktaturen gelebt. Die erste habe ich gemocht und erst später gemerkt, dass das ein Schweineregime war. Die zweite habe ich von Anfang an gehasst", sagte er später.
Was Karasek besonders wichtig machte, war seine Schrankenlosigkeit.
Mit Selbstverständlichkeit schrieb er über Literatur, Theater, Film und alle Formen von Musik. Sogar den Ikea-Katalog, das meist verbreitete Buch der Welt, rezensierte er auf YouTube. Er war Universalgelehrter und lebte fast nach dem Faust’schen Prinzip. Und er lehnte TV-Unterhaltung nicht a priori ab, sondern versuchte sie qualitativ aufzuwerten. Er war mehr Kulenkampff als Gottschalk.
Daniel Kampe vom Verlag Hoffmann und Campe schrieb in einer ersten Reaktion: "In Billy Wilders zehn Geboten des Filmemachens heißen die ersten neun: Du sollst nicht langweilen." Das hätte auch auf Karasek zugetroffen. Und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz sagte: "Karasek hat der Hochkultur den Humor gegeben, ohne ihr die Tiefe zu nehmen."
Adieu, Hellmuth Karasek! Und bitte eine kurze Kritik, wie es da oben so ist.
Das neue "Literarische Quartett" hat seine erste Sendung dem verstorbenen Literaturkritiker Hellmuth Karasek gewidmet. "Wir heute und jetzt werden einfach versuchen, eine so gute Sendung zu machen, die ihm gefallen hätte", sagte Gastgeber Volker Weidermann (45) am Mittwoch bei der Aufzeichnung der neuen ZDF-Literatursendung in Berlin. Im Publikum blieb ein Platz für Karasek frei.
Der Literaturkritiker und Schriftsteller hatte zwölf Jahre lang neben Marcel Reich-Ranicki (1920-2013) "Das literarische Quartett" geprägt. Am Dienstag - einen Tag vor Aufzeichnung der Neuauflage - war er mit 81 Jahren in Hamburg gestorben.
Als Mitglied der neuen Viererrunde sagte der Publizist Maxim Biller: "Ich glaube, er hat sich verabschiedet - und das war sein letzter Gag - weil er diese Sendung nicht mehr sehen wollte." Weidermann würdigte Karasek als einen "leidenschaftlichen Kritiker, großen Bücherkämpfer und wunderbaren Kollegen".
Das ZDF legt "Das Literarische Quartett" nach fast 14 Jahren Pause neu auf. Die erste von sechs Ausgaben jährlich läuft am Freitag (2.10./23.00 Uhr).
Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck würdigte Karasek als leidenschaftlichen Streiter und entschiedenen Anwalt der deutschen Literatur. Er habe "bei vielen Menschen die Kenntnis und die Liebe zur Literatur, zum Theater und zum Film entscheidend erweitert und vertieft", schrieb Gauck an die Witwe Armgard Seegers, und weiter: "Ohne ihn wäre das literarische Leben in unserem Land sehr viel ärmer - und auch erheblich langweiliger."
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) würdigte Karasek als "eine echte Institution in Deutschland", "er liebte und litt an und mit der Literatur und war dabei immer ihr souveräner Vermittler und ein brillanter Unterhalter".
Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) erklärte, Karasek habe als glühender Verfechter der Lesekultur den Menschen das Buch nahegebracht. "Er wird fehlen."
Kommentare