Hellmuth Karasek: Kennen Sie den?

Ein Mann steigt in einem Bürohaus in den Lift, in dem schon ein anderer Fahrgast steht. Der Mann schnuppert, rümpft die Nase und fragt: „Entschuldigung, habe Sie einen fahren lassen?“ Darauf der andere: „Na klar! Oder glauben Sie, ich stinke immer so?“
Ein Mann geht mit seinem Hund in eine Bar. Der Hund hat keine Beine ... Und weiter? Hellmuth Karasek, Literaturkritiker, Buchautor und notorischer Witzesammler und -erzähler, weiß es natürlich. Doch dafür müssen Sie diese Geschichte lesen ...

Besuch bei Hellmuth Karasek in der Suite eines Wiener Innenstadt-Hotels. Das Erste, das ins Auge springt, sind die Schuhe des älteren Herren. Er trägt Converse ohne Schuhbänder. Was, wie er erläutert, gleich drei Vorteile hat: „Ich bücke mich nicht gerne. Außerdem sehen sie gut aus. Und sie sind bequem.“ Immerhin muss der Journalist, der einst an der Seite von „Literaturpapst“ Marcel Reich-Ranicki als gewichtiges Viertel des „Literarischen Quartetts“ bekannt wurde, derzeit einen Interview-Marathon absolvieren. Karasek promotet sein jüngstes Buch „Das find ich aber gar nicht komisch“.
Das Lachen ist dem mehrfachen Buchautor nie vergangen. Auch, weil sein jüngstes Werk vor Witzen nur so sprudelt. Doch Karasek wäre nicht Karasek, wenn er die Materie nicht gleichzeitig hinterfragen würde. Wie erzählt man Witze? Zu welcher Zeit? Und was macht einen guten Witz überhaupt aus? Das alles hat der Herr im dunklen Blazer mit dem Bundesverdienstkreuz der Republik Deutschland am Revers von Kindheit an erforscht. Denn im Alter von fünf Jahren hörte er von seiner Oma den ersten Witz: Familie Haglich hat zwei schöne, heiratsfähige Töchter: Adele Haglich und Cecilie Haglich. Eines Tages kommt bei einem Fest ein junger Mann auf dem Kanapee zwischen den Mädchen zu sitzen und sagt: „Zwischen A. Haglich und C. Haglich fühl ich mich B. Haglich.“ Alle bewundern ihn für seinen Charme, darunter auch ein Mann, der anderntags bei der Familie Schissen eingeladen ist. Auch hier gibt es zwei Töchter: Anna und Cecilie. Und auch hier gibt es ein Kanapee, auf dem der Mann zwischen den Damen zum Sitzen kommt. Beim Versuch ebenfalls charmant zu sein, sagt er: „Zwischen A. Schissen und C. Schissen fühle ich mich B. Sch ...

Es darf gelacht werden – oder auch nicht. Karasek gefiel’s und so fing er an, sich Witze zu merken. Deutsche Gazetten behaupten oft, Karasek sei Witzesammler, was der 81-Jährige nicht ganz so sieht. „Ich habe bei mehreren Umzügen meine unordentlich geführten Schmierhefte verloren oder vernichtet. So genau weiß ich es nicht. Deshalb liegen die Witze, teilweise von Gerümpel verschüttet, in meinem Kopf herum und tauchen auf, wenn ich auf Assoziationen stoße.“ In Wien zum Beispiel fällt ihm gleich ein Witz mit Otto Habsburg ein, der speziell bei Fußballgroßereignissen Anklang findet, denn: „Witze müssen in die Zeit passen.“ Wir wollen ihn trotzdem gleich hören: Otto Habsburg, der damals bayerischer CSU-Abgeordneter im Europaparlament war, kommt eines Tages ins EU-Parlament, aber das Haus ist verwaist. Also fragt er den Portier: „Was ist los? Wo sind alle?“ Sagt der: „Fußball-Länderspiel, ÖsterreichUngarn.“ „Aha“, meint Habsburg. „Und gegen wen?“
Karasek beantwortet Fragen generell lieber mit Witzen als mit normalen Sätzen. Wenn man zum Beispiel wissen will, warum er so gerne Witze erzählt, antwortet er knapp: „Weil man damit das Eis brechen kann“, und beweist das Gesagte sofort mit der passenden Anekdote. Einladung zum Abendessen in einer feinen Hamburger Gesellschaft. Die Stimmung ist noch nicht auf Betriebstemperatur, also greift Karasek in die Witzkiste: Graf Bobby und sein Freund Freddy diskutieren, wie viele Positionen es beim Sex gebe. Bobby denkt kurz nach und sagt: „99.“ Freddy kontert: „100.“ Bobby bleibt bei 99 und wettet um eine Flasche Champagner. „Gut“, sagt Bobby zu Freddy, „fang an aufzuzählen!“ Darauf Freddy: „Erstens, normal.“ Worauf Bobby sofort unterbricht: „Du hast gewonnen, das hatte ich vergessen.“ Befreiendes Gelächter bei den Geladenen, große Erleichterung bei der Gastgeberin, die schon das Schlimmste befürchtet hatte. Karasek: „Es wurde dann noch ein entspannter Abend, trotz des holprigen Beginns.“
Wer Hellmuth Karasek beim Erzählen live erlebt – wie er die Stimme moduliert, die Augen beim imaginären Disput zwischen Bobby und Freddy aufreißt und die Handlung mit den Händen zur Pointe dirigiert – muss schon alleine deshalb lachen. Ein guter Witz lebt eben auch vom Erzählen und dem Talent des Erzählenden. Umso gewagter scheint es, ein Buch über Witze zu schreiben, oder? „Deshalb öden mich die meisten Witzesammlungen auch an“, so Karasek. „Man muss einen Witz wie eine Geschichte erzählen können. Erst dann wird er spannend.“

Und wieder ein Beispiel in Form eines Witz-Quickies: Was macht man mit einem Hund ohne Beine? Antwort: Um die Häuser ziehen. Karasek: „So knapp erzählt, macht man den Witz kaputt. Wichtig ist es, eine Atmosphäre zu schaffen.“
Und das geht so: Ein Mann geht in eine Bar und setzt seinen Hund auf den Tresen. Aber der Hund hat keine Beine. Kommt der Barkeeper, nimmt die Bestellung auf und fragt Anteil nehmend: „Wie heißt denn Ihr Hund?“ Der Mann realistisch: „Er hat keinen Namen. Wenn ich ihn rufe, kommt er ohnehin nicht.“ Darauf der Barkeeper: „Und was machen Sie dann mit dem Hund?“ Der Mann: „Um die Häuser ziehen.“
Karaseks Interesse für die Materie Witz entstand ursprünglich aus einer Not heraus. Als junger Mann nicht unbedingt mit sportlichem Talent gesegnet, suchte er nach einer Alternative, um dieses Defizit auszugleichen und fand sie im Witz. „Am besten punktest du bei den Damen, wenn du Tore schießt“, erklärt der Witzereißer. „Ein Ronaldo, der sportlich und noch dazu fesch ist, braucht keine Witze zu erzählen. Andere Leute müssen da ordentlich ackern. Und Witze sind eine gute Anbagger-Methode.“
Dafür braucht Karasek, der seit 33 Jahren mit Armgard Seegers verheiratet ist, seine Witzesammlung heute nicht mehr. Aber er erntet von seinen Lesern und Zuhörern viel Dankbarkeit und Herzlichkeit: „Dafür, dass sie wieder einmal lachen können.“

Hellmuth Karasek, 81, geboren 1934 in Brünn, war mehr als 20 Jahre Leiter des Kulturressorts des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er als Viertel des „Literarischen Quartetts“ an der Seite von Marcel Reich-Ranicki († 2013) bekannt. Karasek ist selbst Autor mehrerer Bücher. Zuletzt widmete er sich mit Vorliebe dem Thema Humor. Der Wortmensch ist seit 33 Jahren in zweiter Ehe verheiratet und hat vier Kinder. Tochter Laura ist Anwältin und Autorin. Karaseks Söhne sind als Theaterregisseur, Fernsehredakteur und Autor tätig. Karasek über den Autoren: „Er glaubt, er ist Goethe und kann davon leben. Ich bin auch Schriftsteller, arbeite aber nebenbei. Man kann nicht dasitzen und schreiben. Davon kann niemand leben, außer Martin Walser.“

Hellmuth Karasek: Kennen Sie den?

Das neue Buch von Hellmuth Karasek „Das find ich aber gar nicht komisch!“ ist bei Quadriga erschienen und kostet 16.99 €.

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