Zarte Monumente der Sorgfalt
Es passiert nicht oft, dass einem ein paar Blätter Papier ganz grundlegende Dinge vor Augen führen, etwa, warum es Kunst gibt und warum man, seit man einmal auf sie „hineingekippt“ ist, immer wieder zu ihr zurückkommt.
Auf den ersten Blick ist auch nicht sofort klar, warum ausgerechnet die gesammelten Druckgrafiken der US-amerikanischen Künstlerin Vija Celmins, die nun bis 31. Jänner im Hauptraum der Wiener Secession zu sehen sind, diese Erkenntnisse beinhalten sollen: Ja, es sind schöne Motive aus der Natur zu sehen, Sternenhimmel etwa oder die Wellen einer bewegten Meeresoberfläche. Man kann diese Bilder abschreiten, wohlwollend nicken und wieder gehen.
Kunst, nicht Natur
Doch die Motive sind nur „Vehikel“, sagt die Künstlerin, und wer sich auf die Werke „face to face“, das heißt im Original und in Nahsicht, einlässtOriginal und in Nahsicht, einlässt, versteht auch rasch warum. Die Wolken, Wellen, Sterne verblassen nämlich schnell beim Blick auf vielfältige Details, auf die exakt gezogenen Rillen eines Holzschnitts, die ganz klar hinter einer Wellenstruktur stehen, oder auf die Ritzen in der Kupferplatte, die in einer Kaltnadel-Radierung eine ganz andere Oberfläche ergeben. Manchmal baut die Künstlerin irritierende „Störungen“ in die Bilder ein – dann tritt aus einer Wellenlandschaft plötzlich ein schnurgerade über das Bild gezogenes „X“ hervor.
Celmins’ Bilder sind eindeutig Spuren künstlerischen Tuns, sie geben nicht vor, etwas anderes zu sein. Die Ähnlichkeit ihrer Werke zu einem Naturvorbild widerlegt das nicht, im Gegenteil: Jeder der unzähligen haarfeinen Striche, Schraffen und Punkte, aus denen Celmins’ Bilder modelliert sind, unterstreicht die Arbeit an der Kunst und nicht an der Illusion. Die fein ziselierten Striche sind damit aussagekräftiger als so manche potente Malergeste.
Von Künstlern verehrt
An diesem Punkt dämmert auch, warum Celmins, deren Werk in Österreich noch nie in einer Ausstellung gezeigt wurde und die einem breiten Publikum daher unbekannt ist, in ihrer Heimat und unter vielen Kunstschaffenden als eine der einflussreichsten Künstlerinnen ihrer Epoche gilt: Die heute 77-Jährige stellt mit ihrer Arbeit gleichermaßen subtil und radikal klar, dass Kunst aus sich selbst heraus eine Welt erschaffen kann und dass der Mensch in der Lage ist, seinem Leben durch selbst gesteckte Ziele Sinn zu verleihen.
Herausforderungen
Manche der Aufgaben, die die Künstlerin sich stellt, sind in ihrer Selbstbezüglichkeit schon skurril: So reproduzierte Celmins etwa minutiös eine Weltkarte aus einem alten Atlas, inklusive Papierflecken und historischem Bilderrahmen, oder einen Globus aus Seidenpapier, der nun als einzige „Skulptur“ der Schau an einer Stange im Raum hängt. Celmins betont, dass sie Bilder und Objekte nicht einfach kopiert, sondern ganz bewusst adaptiert, um ihnen Tiefe und Präsenz zu verleihen: „Ich will, dass ein Bild hier und jetzt da ist und nirgendwo sonst“, sagt sie.
Die Secessions-Schau ist bis 31. Jänner der wohl beste Ort in ganz Wien, ja ganz Österreich, um zu sich zu kommen, „im Moment“ zu sein, innezuhalten. Selten fühlte sich der historische Tempel des Kunstpurismus zuletzt so rein an.
Es ist ein Ort, an dem sich Eigenschaften trainieren lassen, die auch anderswo im Leben gerade bitter gefragt wären: Die Fähigkeit, genau hinzuschauen, zu differenzieren und zu akzeptieren, dass es neben der Oberfläche immer noch ein „Mehr“ gibt. Celmins’ Werk ermutigt dazu, sich zu bemühen – bei was auch immer man im Leben auch tut.
Zur Person
Ausstellung & Buch
Vija Celmins’ Druckgrafiken werden bis 31.1. in der Wiener Secession gezeigt. Zur Schau ist das Künstlerbuch „A Work of Imagination“ erschienen (Revolver Press, 49 Euro).
Kommentare