Worte, an denen man scheitert

Gerhard Henschel, deutscher Germanist und Buchautor: Der Zungenbrecher. 127 Seiten. Hoffmann und Campe. 18.50 Euro.
Der deutsche Autor Gerhard Henschel sammelt Sprachverrenkungen aus aller Welt.

Dnjepr Dnjepropetrowsk ist nicht nur ein ukrainischer Fußballverein, sondern auch ein eleganter Zungenbrecher. Franz Beckenbauer entging diese sprachliche Feinheit. Anlässlich einer Niederlage des FC Bayern zeigte er wenig Respekt vor der Fremdsprache und bezeichnete die gegnerische Mannschaft als „Domobrowski oder wie der Kaas heißt“. Dem sprachverliebten deutschen Autor Gerhard Henschel stieß das sauer auf, er notierte: Was hätte er wohl zu einer Elf gesagt, die zum ungarischen Fußballverband gehört, dem Magyar Labdarugók Szövetsége, zum Beispiel Hajduböszörményi TE.

Nur zwei Beispiele von vielen, die in „Zungenbrecher“ versammelt sind. Eine langjährige Sammeltätigkeit war dazu nötig. „Es gibt kaum Literatur über diese kleine Form“, sagt Henschel.

Reib’ es leise, Liese!

Was ist ein Zungenbrecher genau? Klar ist: Zungenbrechen ist keine exakte Wissenschaft, die Stolpersteine der Sprache existieren „aus Spaß an der Freud’“ (Henschel). Da zählt auch der folgende Schüttelreim aus Henschels Buch dazu: Auf der Liebesreise / sprach der Leibesriese / ,Bitte, reib’ es, Liese‘ / und sie rieb es leise.“

Egal, ob Silben vertauscht oder Wortschlangen gebastelt werden, „ein Zungenbrecher muss etwas sein, an dem man scheitert, bei dem man sich verhaspelt“, sagt Manfred Glauninger vom Zentrum für Sprachwissenschaften der Akademie der Wissenschaften (siehe unten).

Der Zungenbrecher ist eine sehr alte Form: „Es ist anzunehmen, dass schon die Neandertaler Sprachwitz gehabt haben.“ Darin liegt aber auch das Problem für den Sammler begründet, die wirklich guten Zungenbrecher wurden lange Zeit nur mündlich überliefert, die sattsam bekannten wie der „Fischersfritze“ (Henschel: „Der ödet mich an“). In seinem Buch liest man dafür selten Gehörtes wie das bayerische „Hiaamermehihat“ (= früher haben wir mehr Kühe gehabt) oder das Englische „Is this your sister’s sixth zither, Sir?“ (= ist das die sechste Zither ihrer Schwester, mein Herr?).

Für Henschel ist „das Internet ein Segen. Das Sammeln kann ich vom Schreibtisch aus machen. Würde ich sozusagen mit der Botanisiertrommel von Dorf zu Dorf ziehen, bekäme ich nur wenig Material zusammen.“ Nur mit dem Computer geht es aber auch nicht, daher nutzt Feldforscher Henschel jede seiner Lesungen als Aufruf, „da bitte ich die Leute um Beispiele“.

Oachkatzlschwoaf

In Bayern stieß er so auf den folgenden fast unaussprechlichen Spruch: „An Oachkatzlschwoaf muast mit umaran zwoaring Vitrioöi eiöin“ (Einen Eichhörnchenschwanz musst du mit Vitriolöl einölen). Auch im Norden Deutschlands wurde Henschel fündig: „Harr’k’n Hark hatt, harr’k harken künnt“. Ein Schrebergärtner wollte auf Plattdeusch mitteilen: Hätte ich eine Harke gehabt, hätte ich harken können.

Gerhard Henschel listet in seinem Nachschlagebüchlein auch internationale Spezialitäten auf, wie diese Kostprobe aus Portugal, für die nur zwei Buchstaben nötig sind: „Pó pô o pó? Pó pô“, was auf Deutsch bedeutet: Kann ich das Pulver dazugeben? Ja, ich kann das Pulver hinzufügen.

Ein Hinweis für Amateurforscher und die Freunde der österreichischen Mundarten: Auf dieser Internetseite findet man bereits geschätzte 300 Zungenbrecher, darunter Gustostückerln à la „Geh Toni geh dauni, sonst hau i di dauni“.

Literatur: Gerhard Henschel: Zungenbrecher. 127 Seiten. Hoffmann und Campe. 18,50 €

Die interessanten Einfädler während einer TV-Skiübertragung ereignen sich nicht auf der Piste, sondern im Sprecherkammerl. Dort verhaspeln sich die Kommentatoren mitunter und es entfleucht ihnen statt des Schneegestöbers, in das sie starren, ein „Schnögesteber“. Professionelle Sprecher üben mithilfe von Zungenbrechern ihre Artikulation und Sprechsicherheit, um genau solche Fehler zu vermeiden. „Zungenbrecher dienen nicht nur der Belustigung“, sagt der Soziolinguist Manfred Glauninger.

KURIER: Herr Glauninger, wann haben Sie mit dem Zungen brechen begonnen?
In der Schule. Damals durften wir keine Schimpfwörter verwenden, daher war es lustig jüngere Mitschüler scheinbar harmlose Worte so oft zu wiederholen zu lassen, bis aus dem ,Teppich‘ ein ,Ich Depp‘ wurde. “

Gibt es ein Kochrezept für Zungenbrecher?
Es gibt keine klare Definition. Ähnliche Silben und Stabreime, entweder für sich oder in Kombination, spielen immer eine Rolle. Bei Zungenbrecher geht es darum, dass die Wörter möglichst große Schwierigkeiten bei der Aussprache bereiten und sich oft wiederholen. In der Endlosschleife bricht die Zunge. Der Whiskymixer mixt Whisky an der Whiskybar bis der Whiskymixer Whisky mixen kann. Zungenbrecher funktionieren nicht in jeder Sprache gleich. Der Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän wäre im Englischen als ein einziges zusammengesetztes Wort unmöglich.

Wenn es Zungenbrecher in allen Sprachen gibt, wie können sie da völlig zwecklos sein?
Es ist eine grundlegende Eigenschaft von Sprache, die Grenzen kreativ auszuloten. Wir vergessen oft, dass wir Sprache nicht nur dazu brauchen, um Basiskommunikation zu fabrizieren, sondern dass Sprache weit darüber hinaus geht. Sprache ist mehr als das Kommunizieren von ,X bedeutet Y‘.

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