Nur der Fuß kennt die Wirklichkeit
Jetzt wird’s schwierig.
Weil am Ende von „Ich müsste lügen“ ein Fuß aus dem Bett hängt und man erst langsam zur Erkenntnis gelangt:
Das ist wahrscheinlich der einzige freie Willensakt der Kommissarin Eva Rauch im ganzen Buch.
Nur hier ist sie echt.
Sonst wird sie von einer „höheren Macht“ gesteuert: von einem Schriftsteller.
Eh klar, vom Wiener Wolfgang Popp, dessen erster Roman dieses Buch ist.
Aber nein, nicht nur von ihm: Popp hat – sehr unaufdringlich – Hochphilosophisches (und Biochemisches aus dem Gehirn) in einen Krimi gesteckt, über das man nachher herrlich diskutieren kann.
Etwa darüber: Wenn ich wirklich „nur“ ich bin – was für ein schrecklich fader Typ wäre ich dann wohl?
Es geht um den Bestsellerautor Herbert Will. Ein kalter Typ ist das. Er lebt und liebt und tut sonst noch einiges, um Stoff für den nächsten Roman zu haben.
Zuletzt engagierte er einen jungen Mann, einen ziemlichen Prolo, um ihn in „My-Fair-Lady“-Manier zum Geistesmenschen umzugestalten; und freilich, um darüber zu schreiben.
Nach einem Streit hat sein „Objekt“ die Tasche gepackt und ist seither abgängig.
Mutter sorgt sich sehr.
Bin ich ich?
Aber schon bald wird man sich beim Lesen wundern. Die durchaus durchsetzungsfähige Polizistin ist überhaupt ganz verwirrt. Wird sie ausspioniert?
Dieser in jeder Weise verdächtige Autor scheint sie viel besser zu kennen als sie sich selbst.
Der Radiosender Ö1 hat ganz hervorragende Köpfe. Wolfgang Popp, 42, ist einer von ihnen.
KURIER: Wurden Sie bei Ihrem gelungenen Debüt gesteuert?
Wolfgang Popp: Thomas Bernhard hat ja einmal gemeint, dass er auf jede Geschichte schießt, sobald sie sich am Horizont ankündigt. Meine Strategie ist anders: Ich lasse sie herankommen, schaue ihr zu und schieße dann absichtlich daneben. Ich möchte sie nicht killen, sondern nur, dass sie in eine unerwartete Richtung davonläuft.
Wissen Sie wenigstens, wer es ist, der Sie zu lenken versucht?
Meiner Meinung nach sind das Automatismen, die schon sehr früh und unbewusst übernommen werden. Sind wir zum ersten Mal mit einer bestimmten Situation konfrontiert, wird das eigene Verhalten und seine Wirkung als Muster gespeichert – und zwar nicht nur in der Erinnerung, sondern auch in einer Art Körpergedächtnis. Da kann man nur schwer wieder ausbrechen.
Das erste Mal ist also ein magischer Moment ...
... und der Zufall entscheidet, wie es ausgeht und wie wir uns in Zukunft an ähnlicher Stelle verhalten.
Wir können nie erfahren, wer wir wirklich sind?
Wir können es jeden Moment erfahren. Nur ist die „Antwort“ wahrscheinlich eher nicht sprachlich. Das Gefühl, wenn wir einen Fuß unter der Decke hervorheben, gibt uns wohl authentischere Auskunft über uns, als wenn wir versuchen, Memoiren zu verfassen. Geschichten, die wir uns selber erzählen, sind bestimmt das spannendere „Selbstbild“. Näher an der Wirklichkeit ist aber das Gefühl der Kühle, sobald der Fuß unter der Decke rausschaut.
KURIER-Wertung: **** von *****
Info: Präsentation am 22. Jänner um 19 Uhr im Phil, 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 10–12.
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