Wolfgang Bauers "Der Rüssel": Schneckenragout mit Palmensalat
Das absurde Theater des jungen Wolfgang Bauer, 1941 in Graz geboren, erinnert ein wenig an ein Unsinnsgedicht aus dem Ende des 19. Jahrhunderts: „Dunkel war’s, der Mond schien helle, (...) als ein totgeschoss’ner Hase auf der Sandbank Schlittschuh lief.“ Dies gilt insbesondere für „Magic Wolfis“ erstes abendfüllendes Stück aus 1962.
In „Der Rüssel“ mutiert eine alpenländische Gemeinde samt Wildbach und Gebirge über Nacht in einen afrikanischen Urwald. Statt des Kreuzes steht nun eine riesige Palme auf dem Gipfel. Schuld daran dürfte der Bauernsohn Florian sein, der sich einen waschechten Elefanten herbeigewünscht hat. Auf den Klimawandel folgen adaptive Maßnahmen: Der Kolonialwarenhändler ergänzt sein Sortiment um Tropenkleidung, der Bürgermeister träumt vom Tourismusboom.
Nur der Herr Kaplan wettert gegen den seiner Meinung nach Unheil bringenden Elefanten. Denn es gibt auch Mambas, Monsterspinnen und Riesenschnecken, zum Ragout verkocht. Nur Ionescos Nashörner fehlen.
Abgesehen von einer Szene, 1970 in einer Zeitschrift abgedruckt, galt Bauers „komische Tragödie“ jahrzehntelang als verschollen. Doch die Hoffnung lebte, denn ein Exemplar war an Otto Breicha, Herausgeber der "protokolle", gegangen, und eines an den Komponisten Diether de la Motte, der den Text vertonen wollte. So konnte man 1987 im ersten Band der Gesamtausgabe, erschienen im Droschl Verlag, lesen.
Tatsächlich wurde 2015, zehn Jahre nach dem Tod von Bauer, ein Durchschlag gefunden – im Stadtarchiv von Leibnitz mit einer Widmung für den Dichter Alois Hergouth. Die Burg sicherte sich das Recht der ersten Nacht; die bejubelte Uraufführung fand am Freitag im Akademietheater statt.
Mit Sinn gefüllt
Christian Stückl und Dramaturg Hans Mrak nahmen einige gravierende Abänderungen vor: Sie füllten das absurde Stück, in dem Bauer natürlich nicht den Klimawandel und die Migration aus Afrika vorhersah, mit Sinn. Zudem brachten sie die Szenen in eine logische Reihenfolge. Denn das Ende der Geschichte hat Bauer – wie viele Jahre später Quentin Tarantino in „Pulp Fiction“ – in die Mitte, unmittelbar vor die von ihm geforderte Pause, verlegt: Florian hängt am Galgen. Wie es dazu kam, erzählt der Dramatiker erst danach.
Stückl wollte sein Publikum wohl nicht überfordern. Er verzichtete auch auf die Pause. Und er ergänzte, durchaus nachvollziehbar, den „Rüssel“ um die Grundidee des fulminanten Einakters „Der Tod des Ingenieurs Leo Habernik aus Linz“, den Bauer 1965 schrieb: Der Wintertourist Habernik wird am Faschingssonntag, weil er seine Verkleidung als Teufel ziemlich ernst nimmt, vom Kaplan ans Gipfelkreuz gebunden. Die Rolle des Teufels nimmt bei Stückl, versiert in Passionsspielen, der kecke, rot gewandete Florian ein.
Man könnte zudem einwenden, dass Stückl mit dem „Free Jazz“ von Bauer (dazu gehört auch das regellose „Free Schach“) nichts anzufangen wusste. „Der Rüssel“ ist eben weder Volksstück – noch Komödie. Dem von Bauer-Kennern hoch gepriesenen Spiel „17.000“ zum Beispiel misst er kaum eine Bedeutung bei. Barbara Petritsch als gouvernantenartige Großmutter darf zwar den zu mischenden Kartenstapel in ihrer Schürze herumwirbeln lassen; und Branko Samarovski als altersgeiler Großvater nimmt sie kreuz und quer liegend auf. Aber Stückl kostet das Auslegen der „Figuren“ und der unterschiedlich großen Karten nicht aus. Doch, ganz ehrlich: So witzig ist das Spiel – wie auch das gesamte Stück – nicht. Zumindest nicht für nüchterne Kiebitze.
Fröhlich-naiver Kobold
Stückl hat – aus seiner nichtverkopften Warte – das Beste daraus gemacht. Er lässt einen Chor, die Gesangskapelle Hermann, das skurrile Geschehen singend begleiten. Und er stellt Florian gleich zu Beginn vor. Sebastian Wendelin wirbelt zwei Stunden lang als fröhlich-naiver Kobold herum; selbst ans Kreuz gebunden tänzelt der Feuerfuchs beschwingt.
Ausstatter Stefan Hageneier hat aber nicht nur ihm, sondern allen pumucklartige Perücken aufgesetzt, darunter Peter Matić als Klimawandel-Gewinnler Kuckuck – und Falk Rockstroh als Bürgermeister Trauerstrauch, der Merkelschen Optimismus versprüht („Wir schaffen das!“): Er bildet mit Markus Meyer, der als hysterischer Kaplan brilliert, ein glänzendes Don-Camillo-und-Peppone-Gespann. Leider ist Hageneier entgangen, dass die Fenster der uralten Bauernhäuser wirklich winzig sind. Bei ihm bleibt der Elefant daher nicht mit dem Rüssel stecken. Sein Afrika zumindest ist sehr schön schräg.
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