So sehr an der Kippe war’s zuletzt bei der Kuba-Krise?
Mag sein. Ich 1962, als Ostberliner hinter der Mauer, hatte die Gefahr kaum kapiert. Das war damals nur ein paar sowjetische Atomraketen in einem Frachtschiff auf der anderen Seite der Welt. Jetzt ist es ein ausgebrochener Krieg vor meiner Haustür. Unsere Solidarität mit der Ukraine ist also viel mehr als Engagement. Sie ist für uns Europäer Selbstverteidigung auf Leben und Tod. Die Ukrainer verteidigen nicht nur ihre junge Demokratie, sondern auch unsere Freiheit. Wenn wir ihnen nicht beistehen, sind wir selbst verloren.
Wie mit der Angst umgehen?
Wer keine Angst hat, ist ein Narr. Aber immer wieder neu die entscheidende Frage: Wer hat wen? Habe ich die Angst, oder hat die Angst mich? Unter uns: In dieser Zeitenwende hat die Angst sogar mich. Putins Okkupation könnte der Anfang des Dritten Weltkriegs sein.
Jugoslawiens Zerfall war sehr blutig. Die im Vergleich fast geräuschlose Implosion der UdSSR führte jetzt um 30 Jahre zeitverzögert in einen blutigen Krieg. Was haben wir denn übersehen?
Ganz so friedlich war der Zusammenbruch des Ostblocks nicht. Putin hat die Tschetschenen massakriert. Und so, wie er die Stadt Grosny vernichtete, will er jetzt die Ukraine blutig plattmachen. Aber Putin ist auch ein verkrachter Poet: Er sieht jetzt seine Eroberung von „Kleinrussland“ als die „liebevolle“ Vergewaltigung einer widerspenstigen Frau. Seine kitschige großrussische Macho-Metapher ist kein Zufall: „Ob es dir gefällt oder nicht, du musst es dulden, meine Schöne!“ Und da die schöne Ukraine wütend und verzweifelt sich wehrt, wird dieser mörderische Verführer sie erst mal abschlachten und dann die Leiche in Ruhe vergewaltigen. Ich hoffe, es bricht ihm das Genick.
Aber war dieser „Blitzkrieg“ vorhersehbar?
Ja. Aber er kommt nicht voran. Es sieht ganz so aus, als ob Putins Blitzkrieg so endet wie der seines Kollegen Hitler.
Gorbatschow sagte einmal: „Amerika kann nicht ohne Feind.“ Hat er recht?
Nein. Der müde Rentner Gorbatschow hat nur schon genug von der Welt. Er war einmal im Leben wunderbar tapfer, wir alle verdanken seiner Perestroika mehr, als mancher wahrhaben will. Aber bei Gorbatschow müssen wir bedenken, was Brecht als ein sarkastisches Bonmot in die Welt setzte: „Kein Mensch hält ewig – einige halten etwas länger.“
Schon Obama soll gesagt haben: Mit Putin rede ich nicht mehr. Der lügt mich nur an.
Die größten Lügner belügen sich selber am meisten. Darum steht in der Bibel: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Putins Taten sind bisher nur banale Kriegsverbrechen: Tschetschenien, Georgien, Moldawien, Jugoslawien, Syrien. Seine schlimmste Untat begeht er gegen das eigene Volk: Er hat die Russen wieder zu Untertanen des Zaren im Kreml gemacht. Er hat sein Volk wieder in konventionelle und in digitale Ketten gelegt. Stacheldraht und Peitsche und Glotze. Er hat seine tapferen Widersprecher, Rebellen wie Boris Nemzow und Ana Politkowskaja, liquidiert. Er tötet mit Gift und Kugeln und Rufmord-Fake-News. Und foltert jetzt in Ruhe Alexej Nawalny. Und er hat eine eingeschüchterte Mehrheit des Volkes durch totalitäre Lügenpropaganda und nationalistische Phrasen und Straflager paralysiert.
Und Lügen – für die Trump-Wasserträger „alternative Wahrheit“ – haben Hochkonjunktur in der Politik.
Eine alte Masche: Die Lüge ist Wahrheit. Seine Okkupationsarmee nennt Putin eine Befreiungsarmee. Die Freiheitskämpfer Faschisten. Den Krieg nennt er Friedensmission. Die Diktatur Demokratie. Feigheit spreizt sich als Mut. Der Terror sagt: Ich bin die wahre Menschenliebe.
Was ist dem paranoiden Kriegsverbrecher im Kreml überhaupt entgegenzusetzen?
Natürlich nicht nur die Waffe der Wahrheit, wahrhaftige Kunstwerke, starke Herzen und Lieder. Die Ukraine braucht Verteidigungswaffen.
Was hat die Unterstützung der Solidarność durch Künstler seinerzeit gebracht?
Viel! Alles! Solidarność hat gebracht, dass diese selbstbefreiten Polen, die uns jahrelang nervten, weil sie als Euro-Nutznießer keinen einzigen Flüchtling aus Syrien, Afghanistan und Afrika bei sich beherbergen wollten, jetzt ohne Wenn und Aber Millionen Flüchtlinge aus Putins Krieg bei sich aufnehmen.
Sie erhalten in Wien jetzt eine Auszeichnung fürs Lebenswerk. Wie ist Ihre Beziehung zu Wien?
Ich liebe Wien. Anders ist dieses wunderbare Schmäh-Stinktier auch nicht auszuhalten. Ödön von Horváth ist mein Wiener Wald. Und Karl Farkas für mich die Schöne Blaue Donau. Und Karl Popper ist mein Guru. Und meine innigsten Freunde der tapfere Renegat Ernst Fischer, die kluge Lou Eisler, der redliche Fürst Schwarzenberg. Und Wien, das ist vor allem mein starker Sohn Lukas, aus dem in Wien ein hochkarätiger Schuhmachermeister wurde.
Woran arbeiten Sie derzeit? Ich nehme an, dass viele Ihrer „alten“ Lieder gerade jetzt wieder aktuell sind?
Da haben Sie recht, leider. Ich schreibe noch ein paar Gedichte und Lieder. Mein tief eingewurzeltes Laster.
Lähmen die Ereignisse Sie eher? Oder fördert die Wut eher Ihre Kreativität?
Liebe und Hass halten mich hellwach. So funktionierte immer mein poetischer Stoffwechsel mit der Menschheit. Und wenn ich demnächst auf dem Brechtfriedhof in der Chauseestraße als Berliner Ehrenbürger in meinem Gratis-Grab liege, wird’s nicht langweilig. Da warten auf mich allerhand verehrte Meister und Freunde und ein paar treue alte Feinde auch. Und ich werde auch warten: auf meine starke und schöne und kluge Frau Pamela. Was rede ich daher! Nach dem nächsten Krieg werden womöglich Milliarden neue Tote ohne Grab durcheinanderschrei’n, und ich kann den Brecht nicht mehr in Ruhe fragen nach seiner Meinung über den neuen Stalin-Hitler im Kreml.
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