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"Wohl Seidls bester Film": Pressestimmen zu "Sparta" in San Sebastian
Ein Überblick über die Reaktionen der Presse auf die Weltpremiere des wegen der Drehbedingungen in die Kritik geratenen Dramas.
Ulrich Seidls Drama "Sparta" feierte am gestrigen Sonntag seine lange erwartete Weltpremiere im Wettbewerb des Festivals in San Sebastian. Nach der heftigen Debatte über die Umstände während der Dreharbeiten mit minderjährigen Darstellern in Rumänien war die Projektion somit die erste Möglichkeit für eine breite Öffentlichkeit, das Werk selbst zu sehen. Aus gegebenem Anlass deshalb ein Überblick über die ersten Reaktionen der nationalen und internationalen Fachpresse:
"ABC" (Spanien)
"Es war das komplette Paket, eine Geschichte über diese ungesunde Anziehungskraft der Kindheit in den Händen eines Regisseurs mit Hang zum Extremen. Der Trost: 'Sparta' ist ein extremer Film, ja, der aber einen unerwünschten Charakter, einen Pädophilen, mit erzählerischer Subtilität und einer intelligenten Balance zwischen Sünde und Buße verfolgt... Kurz gesagt: ein viel besserer und besser verdaulicher Film als erwartet, den Sie mögen oder nicht mögen werden. Aber er ist mit Finesse, Berechnung, Intelligenz und dem Wunsch gemacht, mehr Diskussionen als Kontroversen zu erzeugen."
"EL MUNDO" (Spanien)
"Und am Sonntag sprach er endlich. 'Sparta' sprach. Und ohne irgendetwas zu beweisen oder zu widerlegen, bleibt nur zu sagen, dass der Film eine rohe, verstörende und sehr düstere Reflexion über eine gefangene Existenz ist. Im Gegensatz zu vielen seiner früheren Filme, die immer darauf aus waren, die Kamera auf die dunkle Seite der privilegierten Wohlstandsgesellschaft zu lenken, strebt Seidl jetzt nach rücksichtsloser Nüchternheit. Überhaupt nicht exhibitionistisch und viel weniger moralistisch. Der Blick des 'Voyeurs', den er in seinen früheren Arbeiten mit solcher Ironie - in vielen Fällen nicht von Zynismus zu unterscheiden - verwendet hat, wird nun bis zur Verzweiflung annulliert...
Das Ergebnis ist wohl Seidls bester Film, der verzweifeltste, der prägnanteste, der plumpeste ... aber zu welchem Preis? Ist für die Kunst alles wert? ... Wie auch immer wir es ausdrücken, die Unschuldsvermutung gilt nicht in gleicher Weise für jedes Verbrechen, wenn die Opfer entweder die Schwächsten (Kinder, arme Kinder) oder diejenigen sind, die unter den Folgen einer ungerechten sozialen Struktur leiden (Frauen, misshandelte Frauen). Ein schlechter Tag, um Jury bei einem Filmfestival zu sein."
"LA VANGUARDIA" (Spanien)
"An diesem Sonntag wurde der Film vor einem erwartungsvollen Publikum gesehen, das diese unbequeme, mit ruhiger Hand erzählte Geschichte, die sich um den kranken Verstand eines Pädophilen dreht, der gegen seine Impulse kämpft, beklatscht hat... Seidls Intelligenz in diesem interessanten, rohen und riskanten Werk liegt in der genauen Beobachtung des Verhaltens eines gequälten Typen, der am Abgrund steht und wie er versucht, gegen die Versuchung anzukämpfen. Der Regisseur versucht mit allen Mitteln zu vermeiden, uns Ewald als monströses Wesen zu präsentieren. Hier lauert vielmehr Gewalt seitens einiger Eltern der Kinder, die diesen Lehrer mit Argwohn und Misstrauen betrachten. 'Sparta' ist sicherlich ein schwer verdaulicher Film, aber seine Handlung lädt zu einer mehr als willkommenen Debatte inmitten einer Lawine leichterer Titel ein. Seidl hat die Messlatte höher gelegt und sein Film verdient eine prominente Auszeichnung."
"EL PAÍS" (Spanien)
Spaniens größte Tageszeitung konzentriert sich vor allem auf die Anschuldigungen und stellt klar, dass "in keinem Moment gezeigt wird, dass die pädophilen Wünsche des Protagonisten zu Päderastie führen. Kein Kind erscheint nackt, obwohl sie in Unterhosen zu sehen sind. Seidl, ein Meister der Manipulation und der Dunkelheit, weist auf eine Reflexion hin: Der österreichische Judomeister mit pädophilen Neigungen ist ein besserer Vater als die Echten, die sich in einem Siebenbürgen aus verlassenen Schulen und herrschender Armut nicht um ihre Kinder kümmern."
"KURIER"
"In 'Sparta' geht es vor allem um Liebe und Einsamkeit und eigentlich nur am Rande um Pädophilie. Die Frage der Männlichkeit steht im Raum, deswegen wahrscheinlich auch der Titel. [...] Seidl macht sich über die tragischen Figuren seiner Werke nicht lustig. Er lässt den Zuschauer durch die Doku-Filmweise mitfühlen, was für einige angesichts der Thematik der Pädophilie verstörend ist."
"KLEINE ZEITUNG"
"Die Beklemmung über das Unsagbare, das Unzeigbare, aber dennoch Existierende dreht sich mit jeder Szene im Kopfkino weiter. Schmerzhaft. Seidl versteht es, in langen Einstellungen an den Schrauben des Unbehagens zu drehen. Explizite pädophile Sexszenen sind keine zu sehen. Das ändert nichts an den Vorwürfen. [...] Den Film ohne die Aussagen von Minderjährigen und Mitwirkenden zu deuten, fällt im Nachhinein schwer. Denn 'Sparta' kann eben doch nicht für sich sprechen - ohne die Erzählung seiner Produktion. Ohne diese gäbe es keine Bilder."
"DIE PRESSE"
"Seidl zeigt höchst unangenehme, aber vergleichsweise harmlose Szenen. [...] Zu sexuellem Missbrauch kommt es nicht: Es geht um Ewalds inneren Kampf mit seiner pädophilen Neigung, es gibt im Film keine Hinweise darauf, dass er sie tatsächlich auslebt."
"'Sparta' spielt mit den Erwartungen des Publikums, das um diese Neigung weiß. Dieses Wissen lässt manche Momente so schwer erträglich erscheinen - nicht so sehr das, was tatsächlich passiert."
"Am Ende steht ein in seiner Offenheit starkes, verstörendes Bild. [...] Was auf der Leinwand zu sehen ist, kann freilich nur bedingt über einen Dreh und seine Umstände Auskunft geben."
"DER STANDARD"
"Was man im Rückblick kaum mehr simulieren kann, ist, wie dieser Film wohl ohne die im Raum stehenden Vorwürfe gewirkt hätte. Nun dominiert erst einmal eine enttäuschte Skandalerwartung. Denn Sparta ist viel ruhiger und viel humanistischer und viel weniger provozierend, als man das vielleicht erwartet hätte. [...] Die von manchen bereits bei (dem Vorgängerfilm, Anm.) 'Rimini' konstatierte 'Altersmilde' des Regisseurs ist auch hier erkennbar. Sofern man so etwas als Filmzuschauer einem Film überhaupt anmerken kann, haben die Kinder ganz offensichtlich ihren Spaß bei ihren Filmszenen."
"Zugleich ist offenkundig, dass Pädophilie gar nicht im Zentrum des Films steht. [...] Es geht darum, die Gewalt der Männerbünde zu zeigen, aber auch die Gefühle, die in Männerbünden zugelassen und möglich sind. Vor diesem Hintergrund ist auffällig, dass es vor allem deutsche Autoren sind, die Seidl jetzt anklagen. Will man sich von der eigenen deutschen NS-Vergangenheit entlasten, indem man den Boten denunziert?"
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