Das Theater Victoria Eugenia in San Sebastian ist um 8.30 Uhr an einem Sonntagmorgen fast auf den letzten Platz ausgebucht. Vor der Kulisse des luxuriösen Kurortes mit seinen malerischen Stränden findet die Weltpremiere für „Sparta“ statt. „Ich setze mich an den Ausgang, dann kann ich schnell wieder raus, falls mir schlecht wird,“ witzelt ein lokaler Besucher. Er kennt Ulrich Seidl und weiß, dass er kein Wohlfühlkino produziert.
Im Saal ist absolute Stille, an keiner Stelle des Films wird gelacht, am Ende der Premiere wird noch verhalten geklatscht, auch weil viele noch verschlafen sind von den ausgelassenen Feiern der vergangenen Nacht. Bei der zweiten Vorstellung reagiert das Publikum schon mit Begeisterung. Einige spanische Filmkritiker schlagen „Sparta“ via Twitter sogar für die „goldene Muschel“ (la concha de oro) vor, die höchste Auszeichnung des Festivals, das in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag feiert. Es gibt aber auch kritische Stimmen, die den Streifen für geschmacklos halten. Der als schüchtern geltende Ulrich Seidl war an diesem besonderen Tag nicht in San Sebastian, was die spanische Online-Zeitung „El Diario“ kritisiert: „Er hätte seinen Streifen verteidigen sollen.“
Festival verlangt Beweise
Denn handfeste Beweise gegen Fehlverhalten bei den Dreharbeiten in Rumänien gibt es nicht, damit ist auch für das SSIFF, wie das Festival kurz genannt wird, klar, dass sie bis zum Ende auf Seidls Seite sind. Das Festival wurde in der Diktatur geboren, musste viele Hoch und Tiefs bestehen, „aber die Zeiten der Zensur sind vorbei. Normalerweise kommt die von rechts, aber jetzt gibt es auch überzogene Moralisten auf der anderen Seite. Wir müssen damit sehr aufpassen,“ sagt der SSIF-Direktor José Luis Rebordinos im Interview. Der anerkannte Kino-Experte glaubt, dass „Sparta“ prämiert werden sollte in San Sebastian, „weil es ein exzellentes Werk ist“. Viele Besucher wie die mexikanische Filmkritikerin Francina Islas fragen sich jedoch: „Wird die Jury so mutig sein, ihm einen Preis zu geben nach all der Polemik?“
Wird das Werk prämiert werden?
In „Sparta“ geht es vor allem um Liebe und Einsamkeit und eigentlich nur am Rande um Pädophilie. Die Frage der Männlichkeit steht im Raum, deswegen wahrscheinlich auch der Titel. Der Protagonist Ewald baut eine Judoschule in Rumänien auf, die er „Sparta“ nennt. Der eher schüchterne Mann mit heller Stimme verliebt sich in einen der Schüler, der mit einem gewalttätigen Vater aufwächst. Seidl macht sich über die tragischen Figuren seiner Werke nicht lustig. Er lässt den Zuschauer durch die Doku-Filmweise mitfühlen, was für einige angesichts der Thematik der Pädophilie verstörend ist. Der mexikanische Filmproduzent Ivan Trujillo, der bei dem SSIFF auch einen Film zur Finanzierung präsentiert, schätzt die Haltung des SSIFF gegenüber Seidl: „Es ist ein sehr ehrliches Festival, das von einem sehr kultivierten einheimischen Publikum profitiert und auf die Wirkung der Kunst setzt, ohne Tabus.“
Stefanie Claudia Müller aus San Sebastian
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