Wo sich Ingeborg Bachmann verwandelte
Als Ingeborg Bachmann, 19 Jahre alt, aus der Kärntner Provinz nach Wien kam, um hier Philosophie zu studieren und in der Literaturszene Fuß zu fassen, waren noch 100.000 Wohnung vom Krieg beschädigt bzw. zerstört; und Umfragen der US-Besatzungsmacht ergaben damals: Zwischen 30,4 und 51 Prozent der Wiener hielten (je nach Monat der Befragung) den Nationalsozialismus für "eine gute Idee, schlecht ausgeführt" ...
Sie strotze trotzdem vor Optimismus und Heiterkeit, und wie aus dem schüchternen Mädchen in den Jahren 1946–1953 eine "Frau mit Ambitionen" wurde – eine Schriftstellerin, die zur "weiblichen Elite" der Stadt gehören wollte ... das hat US-Germanist Joseph McVeigh mithilfe mehrerer Nachlassverwalter erforscht – zum Beispiel unterstützte Univ.-Prof Alexander Batthyany das Projekt, als Inhaber der Rechte des Nachlasses von Viktor Frankl – der berühmte Psychologe wurde ein enger Freund der Bachmann.
Eine nicht einfache Arbeit, denn 1.) sind Briefe einiger ihrer Männer nach wie vor unter Verschluss; und 2.) schwindelte Ingeborg Bachmann, denn nur die Dichterin sollte zählen, nicht der Mensch.
Tu dich auf!
Außerdem war ihr später so manches peinlich: Dass sie Österreichs erste Seifenoper schrieb, davon wollte sie nichts mehr wissen. Der amerikanische Sender Rot-Weiß-Rot zahlte monatlich 2000 Schilling für "die Radiofamilie" – Straßenfeger ab 1952.
Zuvor hatte sie für Zeitungen gearbeitet und anfangs 300 Schilling verdient. Im Jahr! Dann 300, 400 Schilling im Monat. Das kostete allein die Miete einer Studentenwohnung. Die Familie unterstützte.
Kritiker Hans Weigel war ihr Mentor. An ihn hatte sie sich herangepirscht. Interviewen wollte sie ihn. Niemand kann heute ergründen, ob sie tatsächlich einen Auftrag dafür hatte.
Auch wurde Weigel – der beim Volkstheater im Café Raimund junge Autoren um sich scharte: "Tu dich auf, verschließ dich nicht!" – ihr Liebhaber. Wie zu jener Zeit ebenso der Dichter Paul Celan
Und Wien liebte sie.
Sieht man die Jahre als einen "Wiener Roman", so spielt Weigel darin einen Bösen (mit ein paar guten Eigenschaften): Die Bachmann nannte er "mein Geschöpf", als sie weiterzog, beschimpfte er sie arg, Privates verwendete er für einen eigenen Roman, konkurrierende Talenteförderer denunzierte er als Kommunisten ...
Man muss sich nicht besonders für Ingeborg Bachmann interessieren, um dieses Buch zu mögen.
McVeigh fängt das Wiener Kulturleben um 1950 so anschaulich ein, dass es ... naja, eine Freud’ ist es wirklich nicht immer.
Joseph McVeigh:
„Ingeborg Bachmanns Wien“
Mit sechs Texten, 1948/1949 für Zeitungen geschrieben.
Insel Verlag.
314 Seiten.
25,70 Euro.
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