Winzer Krems: Die Wahrheit, eine widerliche Medizin
Die Frage, wie die Genossenschaft Winzer Krems (Adresse
Sandgrube 13) zu ihrer Vergangenheit steht, wird schon im Vorwort beantwortet; und zwar so beantwortet, dass es einen bereits durchschüttelt, bevor man erfährt, was im Sommer 1938 in der Stadt – einst Hochburg der Nationalsozialisten – geschehen ist
Der Geschäftsführer des Weinproduzenten wird zitiert. Man bat ihn um Zusammenarbeit – aber:
„Lassen Sie uns in Frieden! Wen interessiert das heute?“
Jetzt fällt einem vielleicht August von Kotzebue ein: „Wahrheit ist eine widerliche Arznei, man bleibt lieber krank.“
„Der Wein des Vergessens“ ist gegen den Kremser Wind geschrieben; gegen die Dummheit sowieso.
Der dokumentarische Roman – Fakten und etwas Roman – ist gut lesbar ... im Gegensatz zum „Beschluss zur Gründung einer Winzergenossenschaft in Krems“ vom 13. April 1938, der im Original auf der Winzer Krems-Internetseite steht – unentzifferbar.
Das nennt man Chuzpe.
Aber egal, denn über die Geschichte hätte man sowieso nichts erfahren.
Gierig
Die berühmten Rieden Sandgrube, Weinzierlberg, Marthal und Thalland gehörten dem – jüdischen – Weinhändler
Paul Robitschek; und später dann, als er vor den Nazis nach Südamerika flüchten musste, übergab er das Gut mit Vertrag (!) an seinen – evangelischen – Lebensgefährten, den lieben, großzügigen und geschäftsuntüchtigen Dandy August Rieger.
Wie durch „Arisierung“ und Gestapo-Folter die Weingärten weggenommen wurden, gehört gelesen. Obwohl Übelkeit aufkommt.
Robitschek/Rieger wollten nicht verkaufen. Es erübrigt sich, über die Entschädigung nach 1945 zu diskutieren (600.000 Schilling). Darum geht’s im Buch nicht.
Die Gier steht im Mittelpunkt; und um fehlendes Unrechtsbewusstsein geht es ebenfalls.
Autor
Bernhard Hermann, langjähriger Ö1-Mitarbeiter, ist mit Robitscheks einstigem Gutsverwalter verwandt. Im Nachlass einer Cousine lagen Tausende Seiten Dokumente, Briefe, Tagebücher, Akten. Gemeinsam mit dem Kremser Historiker Robert Streibel ging er auf Wahrheitssuche.
Die heutige Winzer-Generation müsste sich, auch wenn’s weh tut, bedanken für die viele Arbeit (= für die Medizin).
Bernhard
Hermann und Robert Streibel:
„Wein des
Vergessens“
Residenz
Verlag.
256 Seiten.
24 Euro.
KURIER-Wertung: ****
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