Willie Nelson: Soundtrack vom langen Leben
Willie Nelson ist 82. Seit seinem Achtziger hat der Texaner fünf CDs aufgenommen und 300 Konzerte gespielt. (Eines in Wien. Seine große Liebe, die Gitarre "Trigger", war dabei und jagte seiner vorschnellen Stimme hinterher. Das machte nicht nur ihr großen Spaß.) Und erzählt hat Willie Nelson von "bedingungsloser Liebe, von wilden Zeiten, guten Freunden und üblen Spelunken". David Ritz, der schon Biografien über B.B. King, Elvis Presley und Lang Lang verfasst hat, notierte alles. Guter Mann. Zwei gute Typen. Ergibt ein Buch, empfehlenswert sogar für jene, die lieber Metallica haben.
Böse wie Crack
Hören wir hinein in Willie Nelsons Soundtrack seines langen Lebens: Jimmy Carter (schon 91) war ein Freund. Ein Junge vom Land wie er. Erdnussbauer und Schweinezüchter. Im Wahlkampf sang Willie Nelson für Carter, und der US-Präsident lud ihn dann 1977 mit Frau und Kindern ins Weiße Haus ein. Abends, als sich alle für die Nacht in ihre Zimmer verabschiedet hatten, klopfte es – Carter verschleppte Willie Nelson auf einen Rundgang. Über Wendeltreppen kam man aufs Dach, und schön war nicht nur der Blick zu Sternen und Capitol, sondern auch zum Präsidenten, der einen Joint auspackte. "Können wir das denn hier machen?" – "Sonst würde ich’s dir nicht anbieten."
Bekifft auf dem Dach des Weißen Hauses: Diese Erinnerung ist besser als jene an die 1980er mit Ronald Reagan – Jahre, die "böse wie eine Crackpfeife" waren. Denn dass Willie Nelson schon damals, als man für einen einzigen Joint noch ein Jahr ins Gefängnis kommen konnte, Werbung für Marihuana machte, gefiel Reagan bestimmt nicht. Und dass er für die kleinen Farmer singt (von denen noch immer jede Woche 300 "zusperren") und Stimmung gegen landwirtschaftlichen Konzerne macht, war ebenfalls nicht in Reagans Sinn. Kann sein, dass ihn die Steuerprüfer deshalb "quietschten" und 32 Millionen Dollar verlangten. Seinen Steuerberater mochte er dann freilich nicht mehr so. Aber er gab nicht auf. Er ging nicht bankrott. Für Uncle Sam spielte er Extra-Platten ein, die Finanz begnügte sich schließlich mit sechs Millionen Dollar.
10 Dollar pro Lied
"Hör nie auf zu singen!" Das sagte er sich früh. Auch als er Vertreter für Staubsauger war. "Tu alles mit Musik. Die Musik wird dich beschützen." Als Songwriter reichten ihm allein Fenster, Wände, ein Plafond – schon war "Hello, walls" fertig: 1962, sein erster Hit. Nachts trat er in Lokalen auf, und die Rechte an späteren Welthits wie "Crazy" und "Funny How Time Slips Away", die er komponiert hatte, hätte er fast zu je zehn Dollar verkauft. Melodien und Texte fielen ihm zu. Wie eine Kuh, die viel Milch hat, ließ er die Lieder raus. Mit Konzerten und Platten lief es erst, als sich Willie Nelson nicht mehr glattbügeln ließ. Als er sich aus Nashville verabschiedete und kein typischer Country-Sänger sein wollte. Als er sich die rotbraunen Haare wachsen ließ und Zöpfe flocht. "Es fühlte sich gut an, darauf zu pfeifen, ob ich einen anständigen Eindruck machte." Auch fiel es in die Hippie-Zeit, dass er mit Alkohol und Kettenrauchen aufhörte. Er ist sicher, Whisky und Zigaretten hätten ihn umgebracht. "Marihuana und ich verstanden uns prächtig." Soll man widersprechen? Bei 22 Nummer-eins-Singles und 14 Nummer-eins-Alben in den Billboard-Charts sowie zehn Grammys? "Wieso machst du dir nie Sorgen?" hat sein Freund Waylon Jennings gefragt. "Weil alles klappen wird. Es ist eine Frage des Gottvertrauens. Ich habe genug Gottvertrauen für ein ganzes Leben und auch für die Leben, die vielleicht danach kommen." Mit 82 hat er nach wie vor mehrere Joints gleichzeitig brennen. Der Unterschied: Jetzt gönnt sich Willie Nelson auch E-Zigaretten mit Cannabis-Konzentrat.
Info: Willie Nelson (und David Ritz): „Mein Leben: Eine lange Geschichte“ Übersetzt von Jörn Ingwersen. Heyne Verlag. 448 Seiten. 23,70 Euro.
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