"Old Musicians Don't Die, They Just Decompose": Alte Musiker sterben nicht, sie verwesen nur. Als ein Journalist des Rolling Stone 2013 auf dem Anwesen von Willie Nelson in der Nähe von Austin, Texas, zu Gast war, erblickte er diesen Spruch in der Westernstadt namens "Luck" (Glück), die der Countrystar einst als Kulisse für seinen Film "Red Headed Stranger" gekauft hatte.
Zehn Jahre später ist Nelson immer noch nicht verwest - am Samstag, den 29. April, feiert der Unzerstörbare seinen 90. Geburtstag mit einem zweitägigen Geburtstags-Festival in der Hollywood Bowl, zu dem neben Stars der Country-Szene und dem ebenfalls zu den Urgesteinsmaterial zählenden Neil Young auch Musiker wie der Rapper Snoop Dogg und Reggae-Größe Ziggy Marley anreisen.
Denn auch wenn Nelson nicht tot ist - sein Werk ist längst ein Bestandteil jenes Humus geworden, auf dem das wächst, was man mangels besserer Kategorien als "amerikanische Musik" bezeichnen muss - vielgestaltig, divers, aus einem ständigen Strom des Austauschs gespeist.
Willie Nelsons Rolle als Integrationsfigur ist nicht zu unterschätzen - nicht zufällig haben auf seinem Kopf nach indianischer Art geflochtene Zöpfe, ein Cowboyhut und ein rebellisches rotes Bandana-Tuch gleichzeitig Platz. Das Wilde und Ungebändigte trifft sich bei ihm mit sozialem Engagement und Gerechtigkeitssinn, die Cowboy-Romantik, die er in seinem Werk ebenfalls bediente, blieb immer fern von Kitsch und Klischee.
Dabei hatte es der 1933 inmitten der Wirtschaftskrise geborene Musiker keinen schnellen Start. Seine ersten Erfolge feierte er eher als Songwriter denn als Interpret - allerdings durchliefen seine Lieder oft jenen Weichspülprozess, den man als "Nashville Sound" bezeichnete. Der Produzent Chet Atkins hatte diese Hinwendung zu süßlichen Arrangements erfunden, um traditioneller Country-Musik angesichts wachsender Popularität von Rock und Pop mehr kommerziellen Appeal zu verleihen. Nelson aber befand sie für seine Werke für unnötig.
Der Produzent von Atlantic Records, Jerry Wexler, war eine Anlaufstelle für Nelsons kreative Vision - und erkannte auch, dass seine Qualitäten als Sänger weit über das Übliche hinausgingen. In der Kunst des Rubato - der gewieften Verzögerung von musikalischen Phrasen - sei Nelson neben Ray Charles und Frank Sinatra der Meister seiner Zeit, erklärte Wexler. Nelson baute hier auch auf Vorbilder aus dem Jazz sowie auf den Musikern des "Texas Swing" auf, die bereits zuvor Einflüsse innerhalb der Country Music verarbeitet hatten.
Das Konzeptalbum "Red Headed Stranger" mit dem Nummer Eins-Hit "Blue Eyes Crying In The Rain" beschwerte Nelsons Ästhetik 1975 schließlich den Durchbruch (der gleichnamige Film, der die in den Songs erzählte Geschichte in Bilder fasst, erschien erst zehn Jahre später). Mit Waylon Jennings und dem Album "Wanted! The Outlaws" war das Subgenre "Outlaw-Country" 1976 einzementiert, die Supergroup "The Highwaymen" (mit Nelson, Jennings, Johnny Cash und Kris Kristofferson) produzierte zehn Jahre später noch einen Meilenstein des Genres.
Nelson versuchte bald, seinen Mainstream-Erfolg auch für karitative Zwecke zu nutzen: Sein nasaler Ton stach etwa 1985 aus dem Charity-Hit "We Are The World" zugunsten der Hungerhilfe in Afrika hervor. Als Bob Dylan beim "Live Aid"-Konzert auzf der Bühne die Frage aufwarf, ob nicht auch Amerikas Farmer Hilfe benötigten, nahmen ihn Nelson und sein Freund Neil Young beim Wort: Das jährliche "Farm Aid" Festival war geboren.
Freund der Bauern und der Gräser
Heute ist "Farm Aid" eine Plattform, die gegen die negativen Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft auf Land und Leute in den USA antritt und sich für "Family Farms" und kleinteilige regionale Produktion einsetzt. Zu dieser gehört für Willie Nelson auch der Anbau von Marihuana: Aus seiner Leidenschaft für das Kraut machte er nie ein Geheimnis, mehrmals kam er deswegen mit dem Gesetz in Konflikt. Seit der weitgehenden Legalisierung von Cannabis in den USA stieg Nelson aber zum Pot-Unternehmer auf, seine Eigenmarke "Willie's Reserve" - angebaut von unabhängigen, fair bezahlten Farmern, versteht sich - ist im ganzen Land bekannt.
Bis der letzte Joint verglüht ist, werde er auch noch Alben aufnehmen und Touren: „Ich werde einer der ältesten Bastarde da draußen sein“, meint er. „Aber solange die Leute auftauchen, werde ich es auch tun.“
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