"Wiener Typen": HipHop in Alt-Wien

"Sänger und Geiger in einem Hinterhof", um 1910 Moriz Jung / Wiener Werkstätte Bildpostkarte © Wien Museum
Die Schau "Wiener Typen - Klischees und Wirklichkeit" im Wien Museum.

Heute werden Geschichten der Großstadt meist in der Sprache des HipHop erzählt. In dieser würde man die „Wiener Typen“, die derzeit den Stoff einer ansprechenden Schau des Wien Museums bilden, wohl als „Hustler“ bezeichnen.

Der US-Soziologe Sudhir Venkatesh verwendet diesen Begriff in seiner brillanten Studie „Off The Books – The Underground Economy of the Urban Poor“ für jene Menschen, die ihr Geld auf der Straße mit dem Wahrnehmen von Gelegenheiten verdienen – ob sie nun Altgeräte reparieren, Trickbetrügereien nachgehen, Socken oder auch Drogen verkaufen.

Populär: Der PülcherIm Wien des 18. und 19. Jahrhunderts wusste man allerdings nichts von HipHop und „Hustlern“, man verwendete andere Wörter: Es gab den „Betenkrämer“, der Rosenkränze feilbot; das „Eyerweib“ (die Eierverkäuferin); den „Rastelbinder“, der Gefäße mit Draht reparierte; den „Werkelmann“ mit seiner Spielorgel und natürlich den umherstreifenden „Pülcher“.

Impressionen der Ausstellung

"Wiener Typen": HipHop in Alt-Wien

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"Wiener Typen": HipHop in Alt-Wien

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Diese Begriffe wurden nicht von akademischen Soziologen geprägt: Es waren zunächst die Produzenten der Wiener Porzellanmanufaktur und wenig später Grafiker wie Johann Christian Brand, dessen „Zeichnungen nach dem Gemeinen Volke“ den Grundstein für ein ganzes Genre populärer nostalgischer Bilder lieferten. Konsumiert wurden die Darstellungen freilich von der Oberschicht, die beim Blick auf die Arbeiter eine Prise Urtümlichkeit inhalierten und das tatsächliche Elend der meist aus den Kronländern zugezogenen Wanderverkäufer ausblendeten.

Das Wien Museum besitzt eine umfangreiche Sammlung dieser Bilderserien, die zunächst als „Kaufrufe“ bekannt waren und zur Zeit der Weltausstellung 1873 als „Wiener Typen“ in Fotoserien neu inszeniert wurden. Das süße , stets auch erotisch aufgeladene Wäschermädel, der gemütliche Fiaker und die resche Marktfrau waren da schon längst zu unverrückbaren, sofort erkennbaren Figuren und Postkartenmotiven geworden – und je mehr die Stadt und ihre Gesellschaft in den Strudel der Moderne gerieten, desto heftiger wurden sie als „unvergessliche Wiener Spezialität“ heraufbeschworen.

Retro-Kult

Dieser Umwandlungsprozess, in dem Randgruppen mit Migrationshintergrund zu Stützen der Wiener Identität umgedeutet wurden, macht die „Wiener Typen“ angesichts aktueller Integrationsdebatten zu einem faszinierenden Phänomen.

Das Kuratorenteam des Museums führt in dichten, kompakten Kapiteln an einzelne „Typen“ und ihren Hintergrund heran, ein Audioguide liefert Tonmaterial zu den Bildern: Denn die Typen wurden zum Stoff etlicher Lieder, Entertainer von Nestroy und Raimund bis zu Peter Alexander und Hans Moser bedienten sich ständig aus ihrem Fundus. Die Konzentration an Nostalgie und Stereotypisierung ist dabei manchmal schwer zu ertragen – dabei ist sie gar nicht so weit von der Ghetto-Verklärung im heutigen Gangsta-Rap entfernt.

Info

„Wiener Typen“: Klischees im MuseumSchauen & Hören „Wiener Typen - Klischees und Wirklichkeit“ wurde Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museums, konzipiert und von Kuratoren des Museums umgesetzt. Sie ist bis zum 6. Oktober zu sehen
(Wien Museum Karlsplatz, 1040 Wien, Di – So, 10 – 18 Uhr, www.wienmuseum.at)
Der Katalog erscheint im Juni im Christian Brandstätter Verlag.

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