Wiener Sternwarten: Kathedralen der Wissenschaft

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Wiener Sternwarten, Paradebeispiele für repräsentative Architektur im Dienste der Wissenschaft und für den Weitblick in die Sternenwelt.

Uralt ist der Wunsch der Sterngucker, die Objekte näher kennenzulernen, die allnächtlich ihren Glanz über die Erde gießen. Wien hat für eine Stadt ihrer Größe ungewöhnlich viele und sehr unterschiedliche Sternwarten.

Die Gestaltung zwischen wissenschaftlicher Funktionalität, stilistischer Repräsentation und städtebaulicher Wirkung macht die Wiener Sternwarten zu außergewöhnlichen Bauwerken ihrer Zeit.

Theater der Astronomie

Zwei stechen historisch wie architektonisch hervor: die Universitätssternwarte in Währing, entworfen vom Theaterarchitekten-Duo der Monarchie Ferdinand Fellner d. J. & Hermann Helmer nach dem Vorbild der von Karl Friedrich Schinkel 1835 erbauten Berliner Sternwarte; und die von Moriz von Kuffner, dem ebenso reichen wie „sternnärrischen“ Besitzer der Ottakringer Brauerei privat finanzierte und modernst ausgestattete Kuffner-Sternwarte auf dem Gallitzinberg in Ottakring.

Der von 1874 bis 1879 errichtete monumentale Observatoriumskomplex im Stil des Historismus mit einer Prunktreppe wie in einem Opernhaus, mit dem kreuzförmigen Grundriss und der dominanten Zentralkuppel neben drei Seitenkuppeln auf dem damals noch weitgehend unbebauten Hügel der Türkenschanze diente – weithin sichtbar im Stadtbild – als „Kathedrale der Wissenschaft“.

Die Vision des Gründungsdirektors Carl Ludwig von Littrow war, Wien als Zentrum astronomischer Forschung zu positionieren. Tatsächlich war der große Refraktor bei der Eröffnung in Anwesenheit von Kaiser Franz Joseph I. am 5. Juni 1883 das leistungsfähigste Linsenteleskop der Welt. Das katapultierte Wien kurzfristig in die internationale Topliga der Astronomie.

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Modell der Wiener Urania am Donaukanal.

Wettlauf

Damals war auch etwas weit verbreitet, was wir in der Gegenwart oft vermissen: die allgemein große Begeisterung für die Wissenschaft. Es kam zu einem Wettlauf um das beste Teleskop: Obwohl die Universitätssternwarte erst wenige Jahre zuvor errichtet worden war, ließ es sich Kuffner nicht nehmen, seinen eigenen Backsteinbau – die Anlage steht seit 1977 unter Denkmalschutz – als Forschungseinrichtung gleich- wertig und zum Teil sogar besser auszustatten.

Sie zog namhafte Astronomen an und hatte internationale Bedeutung. Nach der Vertreibung und Enteignung Kuffners 1938 wurde die Sternwarte zwischen NS-Organisationen und nach 1945 politischen Parteien und Bildungsinstitutionen mehrfach zweckentfremdet und konnte erst 1947 als Volkssternwarte wiedereröffnet werden.

Universitätssternwarte

Die  Universitätssternwarte in Währing.

Politik und Park

Neben der Universitätssternwarte, dem heute noch größten zusammenhängenden Sternwartengebäude Europas, sollte in den 1970er-Jahren im Park ein Neubau des zoologischen Instituts entstehen. Nach Protesten und einer Volksbefragung wurde das Projekt gestoppt. Die Sternwarte samt Park blieb erhalten – ein Sieg der Stadtökologie.

Die von Max Fabiani entworfene Urania, ein Volksbildungshaus mit Sternwarte, wurde wegen der allgemeinen Aufregung um den Vorbeiflug des berühmten Halleyschen Kometen noch vor Abschluss der Bauarbeiten drei Wochen früher als vorgesehen im Mai 1910 eröffnet.

Knieriem singt in Johann Nestroys Posse „Der böse Geist Lumpacivagabundus“ schon 1833 im „Kometenlied“: „Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang.“ Anno 1910 enttäuschte er „die in ihn gesetzten Hoffnungen und Befürchtungen in gleichem Maße“, so die Wiener Abendpost.

Nur Wiens Wirte profitierten vom Hype und Rummel und dürften gedacht haben: „Gott sei Dank für kosmische Enttäuschungen – sonst wär’ heute gar nix los bei mir.“

INFOS: astro.univie.ac.at - bibliothek.univie.ac.at - kuffner-sternwarte.at - planetarium.wien

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