Ende mit Augenzwinkern - aber Vorwurf "übergriffigen Verhaltens"
Nach knapp 40 Stunden Dokutheater an drei Wochenenden sind Milo Raus "Wiener Prozesse" mit finalen "Gerichtsentscheidungen" am Sonntagabend im Odeon Theater zu Ende gegangen. In den letzten drei Fällen, die unter "Die Heuchelei der Gutmeinenden" zusammengefasst wurden, fällten sieben "Geschworene" Freisprüche für Rau und für "Klimakleber". Keine Entscheidung gab es indes beim emotionalsten Thema des Dokutheaterstücks - der Räumung eines propalästinensischen Protestcamps.
Während der Freispruch von Festwochen-Chef Rau und seines diesjährigen Festivals zum Vorwurf von Fördermissbrauch nicht überraschend kam, war die Situation bei einem umstrittenen Camp von pro-palästinensischen Aktivisten vor der TU Wien und der Legalität seiner Auflösung durch die Polizei weniger klar gewesen. "Wir können hier nichts anderes machen, wir können das an Mangel an Beweisen nicht besprechen und uns einig sein", verlas eine Sprecherin der "Geschworenen", die die von den Festwochen ausgerufene "Freie Republik Wien" vertreten soll. Das Gericht solle sich erneut mit der Frage beschäftigen. In der "Strafprozessordnung" war dies jedoch vorgesehen. "Mit der juristischen Realität, so wie ich sie als Anwältin erlebe, hat das nur sehr begrenzt zu tun", hatte am Nachmittag die Inszenierung auch die als "Zeugin" geladene Medienanwältin Maria Windhager kritisiert.
"Grenzüberschreitendes Verhalten"
Die Tatsache, dass am Samstag einer linken jüdischen Aktivistin bei der emotionalen Verlesung eines pro-palästinensischen Manifests das Mikrofon abgedreht wurde, bezeichnete eine weitere "Geschworene" als Verletzung der Meinungsfreiheit. Auch sei es zu "grenzüberschreitendem Verhalten" gekommen, kritisierte sie. Ein Festwochen-Dramaturg habe am Samstag versucht, dieser Aktivistin ihren Redetext zu entreißen. "Wir sehen das als inakzeptabel und übergriffig und laden die Festwochen sowie den Dramaturgen dazu ein, sich damit auseinanderzusetzen", sagte sie.
Einen Freispruch mit deutlicher Mehrheit gab es indes gegen Aktivisten der "Letzten Generation", denen zunächst im Zusammenhang mit einer Klebeaktion auf einer Autobahn Beteiligung an einer terroristischen Organisationen und schließlich in einer abgeschwächten "Anklage" am Sonntag bloß noch schwere Sachbeschädigung vorgeworfen worden war.
"Sehr real" für Klimaaktivistin
"Das was wir hier im Rahmen der Kunst verhandelt haben, ist real, zumindest sehr real für mich", sagte in einem abschließenden Statement die in der Inszenierung "freigesprochene" Klimaaktivistin Afra Porsche. Gegen sie und fünfzig andere Personen liefen derzeit Ermittlungen, Teil einer kriminellen Vereinigung zu sein, fünf ihrer Freundinnen und Freunde säßen wegen des Protests derzeit hinter Gittern. Mit zitternder Stimme sprach sie von der Notwendigkeit, doch endlich Maßnahmen für den Klimaschutz zu setzen. "Ihr alle seht und wisst, dass etwas geschehen muss", wandte sie sich an das Publikum. Weiter friedlich seinem Job nachzugehen sei verantwortungslos, meinte sie und erklärte, dass das Publikum wegen "unterlassener Hilfsleistung" selbst angeklagt gehörte und auch schuldig sei.
Selbstanklage mit Augenzwinkern
Die "Wiener Prozesse" hatten sich zuvor an ihrem allerletzten Tag vor allem mit sich selbst beschäftigt: Neben Kritik am Programm der Wiener Festwochen warf der Wiener Anwalt und Ex-Politiker Alfred Noll als "Ankläger" dem Festival aber insbesondere vor, mit der simulierten Gerichtsverhandlung als nichtkünstlerischem Projekt Fördermissbrauch begangen zu haben und damit nicht das Ansehen der Stadt Wien gefördert zu haben. Noll stand als Chefankläger mit seiner überzogenen "Anklage" gegen "Wiener Prozesse" mit diesen Vorwürfen auf eher verlorenem Posten - kein einziger "Zeuge" bestätigte sie. In seinem Schlussplädoyer am frühen Sonntagabend machte er Regisseur Rau selbst für diese schwache Anklage gegen Rau verantwortlich: Er sei als "Ankläger" an die Weisungen seiner "Oberbehörde" gebunden, sagte er mit Augenzwinkern.
Raus Vertrag würde zwar formal zulassen, dass er mit den Subventionen ein Beisl gegenüber zu renovieren und dies zu Kunst zu erklären oder Laiendarsteller ins Odeon Theater zu stellen, hatte Noll ausgeführt. Auch bei der laufenden Vorstellung handle es sich in Ermangelung von Künstlerinnen und Künstlern auf der Bühne, um keine Kunst, sondern um die "Vermittlung von politischem Wissen oder die Fundierung von politischem Engagement". Deshalb liege ein Missbrauch der Förderungsgelder vor, erklärte er.
Trockene Vorsitzende
"Wenn jemand ein paar Fahrradschläuche an die Wand nagelt und sagt, sagt, das ist Kunst, dann können wir ihn auslachen", argumentierte er. Das Gericht verwehre sich dagegen, mit Fahrradschläuchen verglichen zu werden, erwiderte die ehemalige SPÖ-Justizministerin Maria Berger als "vorsitzende Richterin", die ihren trockenen Kommentaren zum heimlichen Star des dritten Prozesswochenendes avancierte.
Sieben geladene "Zeugen" und "Experten" wollten in Folge Nolls Vorwurf nicht bestätigen, niemand erachte Raus Inszenierung für keine Kunst. Auch fehlten dezidierte Festwochengegner und -kritiker im Zeugenstand: Die ÖVP-Gemeinderätin Laura Sachslehner, die dem Festival vorgeworfen hatte, Antisemitismus einen Platz zu geben, kam nicht und ließ die Verantwortlichen wissen, dass sie wegen des Festhaltens an der Einladungspolitik der Festwochen für ein solches Format nicht zur Verfügung stehe. FPÖ-Nationalrat Christian Hafenecker, der sich in einer am Donnerstag veröffentlichten parlamentarischen Anfrage mit dem Festival beschäftigte, war nicht explizit angefragt worden.
Was eine große Selbstbezichtigung im Stil der stalinistischen Schauprozesse der Dreißigerjahre hätte werden können, avancierte derart zu einer Plauderei mit kritischen Anmerkungen sowie auch etwas Lobhudelei. Wirklich heikle Fragen wurden dabei ausgespart. "Zeuge" Rau selbst positionierte die "Wiener Prozesse" als "Mischung von Marcel Duchamp und Leo Tolstoi" und widersprach Sachslehners Vorwürfen. "Wenn Antisemitismus, Rassismus und andere Aufrufe zu Gewalt vorliegen, dann hat das bei den Festwochen nie keinen Platz; auch nicht unter dem Deckmantel der Kunst", sagte er. Der Festivalchef widersprach mit einem Zitat des eingeladenen Yanis Varoufakis zudem der Darstellung, dass es sich bei diesem um einen Antisemiten handle.
"Mittäterin" Kaup-Hasler
Die ebenso als "Zeugin" geladene SPÖ-Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler erklärte im Anschluss, dass man für die "Wiener Prozesse" dankbar sein müsse. "Endlich sind Räume des Sprechens und des Zuhörens aufgemacht worden, die wir in anderen Bereichen, in den Medien, auch im ORF, so stark vermissen", sagte sie und im Anschluss, dass sie auf die Inszenierung selbst keinen Einfluss genommen habe. "Aber ich fühle mich als Mittäterin, da ich die Entscheidung getroffen habe, Milo Rau zum Intendanten der 'Wiener Festwochen' zu bestellen", erklärte sie. Auch sei es eine sehr vergnügliche Vorstellung, mit Rau in eine Zelle gesperrt zu werden, sagte sie.
Kaup-Hasler verteidigte auch den wiederholt kritisierten Slogan der diesjährigen Festwochen "Wir schulden der Welt eine Revolution": Dies sei eine "sehr kluge künstlerische Äußerung", die nachdenken lassen, was auf unserer Welt passiere. Aber ich sage, also ich glaube. Großes Lob gab es auch für die Performance von Raus erster Festwochenausgabe. Noch nie haben es so viele internationalen Kritiken gehabt, mit 93 Prozent habe es zudem eine "sensationelle Auslastung" gegeben, erläuterte die Kulturpolitikerin.
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