Eine Zeitreise in die 1920er-Jahre

Autor Stefan Zweig mit seiner Frau Friderike
"Wiener Gesellschaft" von anno dazumal aus dem Foto-Atelier "Setzer" im Leopold Museum.

Paula Wessely 1937 in „Die heilige Johanna“ von George Bernhard Shaw, Igo Etrich, der Flugpionier und Erfinder der Etrich Taube, Lotte Lehmann als Turandot, die Tänzerin Grete Wiesenthal, Elisabeth Ephrussi, die Großmutter von Edmund de Waal, Autor von „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ ...

Die Reichen und Schönen, die Bourgeoisie und die Künstler: Franz Xaver Setzer bekam sie alle vor das Objektiv seiner Kamera. Der Fotograf betrieb in Wien-Neubau in der Museumstraße 5 ein Studio, in dem er zwischen 1909 und 1939 Bühnenstars, Unternehmer und Politiker porträtierte.

Menschensammler

Eine Zeitreise in die 1920er-Jahre
BILD zu OTS - Franz Xaver Setzer (1886-1939), Die Sopranistin Betty Fischer in der Operette "Die Königin" von Oscar Straus 1927, Fotografie, Silbergelatineabzug,13,9 x 8,9 cm,Photoarchiv Setzer-Tschiedel - Bild zur Franz Xaver Setzer Präsentation im Leopold Museum
DieWiener Gesellschaft ging bei Setzer ein und aus. Sein Studio ist das einzige heute noch im Original-Zustand erhaltene Fotoatelier der Zwischenkriegszeit.

Wie andere bekannte Wiener Ateliers von Madame d’Ora, Trude Fleischmann oder Rudolf Koppitz war „Setzer – Photographische Bildnisse, hinter dem deutschen Volkstheater“ eine Marke und das Foto-Studio des Menschensammlers und seiner Nachfolgerin Marie Karoline Tschiedel ein Zentrum der Porträtfotografie im Wien der 1920er- und 1930er-Jahre.

Als Setzer 1920 die berühmte Opernsängerin Marie Gutheil-Schoder heiratet, erhält er viele neue Kontakte und Aufträge sowie bei Reisen zu den Salzburger Festspiele Gelegenheit für Aufnahmen vor Ort. Mit nur 52 Jahren stirbt Setzer im Jänner 1939 an den Folgen einer schweren Krankheit. Seine letzte Aufnahme ist im Plattenbuch mit der Nummer 18448 eingetragen.

Ein Stück Geschichte in Gesichtern, die ihre Zeit mitgestaltet haben, ist das vollständig erhaltene Archiv aus zirka 25.000 Glasplatten, auf denen Schauspieler, Sänger, Dirigenten, Komponisten, Schriftsteller und ein Großteil der bürgerlichen Gesellschaft jener Jahre abgebildet sind.

Ungehobener Schatz

Eine kleine Auswahl davon zeigt derzeit die Ausstellung „Wiener Gesellschaft“: Fotos von Arthur Schnitzler, Stefan Zweig oder Paula Wessely u. v. a. aus einem „bisher ungehobenen Schatz österreichischer Fotografiegeschichte“, heißt es im Leopold Museum.

Eine Zeitreise in die 1920er-Jahre
BILD zu OTS - Franz Xaver Setzer (1886-1939),Der österreichische Komponist Arnold Schönberg, 1922, Fotografie, Silbergelatinabzug, 26,9 x 20,5 cm - Bild zur Präsentation zu Franz Xaver Setzer im Leopold Museum
Dort sieht man die Fotoschau im Rahmen der Neuaufstellung der Sammlung österreichischer Kunst der Jahre 1918 bis 1938 als eine „wunderbare Ergänzung“ zu den Gemälden von Herbert Boeckl bis Albin Egger-Lienz.

„Das Archiv des Fotostudios Setzer-Tschiedel, das sich heute noch in Familienbesitz befindet, ist ein unschätzbares Kleinod der Wiener Fotogeschichte und außergewöhnliches Zeugnis der Wiener Kulturgeschichte“, sagt der Fotoexperte und Leiter der Bildagentur Imagno Gerald Piffl.

Das Atelier sei das einzige namhafte Fotostudio aus der Pionierzeit der Fotografie, das in seinem Gesamtbestand noch existiert.

„Fotografie“, hat zwei Generationen später Susan Sontag gewarnt, „ist ein aggressives Gewerbe.“

Nicht bei Setzer. Er betrachtete seine Bildnisse stets als Kunstwerke. Der von ihm geprägte Stil der Porträtaufnahmen vor schmucklosem Hintergrund war damals modern.

Porträts berühmter Leute sind wie die Puppe eines Bauchredners. Sie sprechen, obgleich leblos, für sich selbst. Sie sind eine Botschaft für sich selbst und für jeden anders begreiflich.

Wiener Society

Nicht nur Opernsänger, auch Komponisten, Regisseure, Theaterschauspieler, alles, was in der Welt der Bühne Rang und Namen hatte, ließ sich von Setzer ablichten.

Literaten wie Stefan Zweig, Arthur Schnitzler, Felix Salten und Richard Beer-Hofmann und den bedeutendsten Regisseur seiner Zeit, Max Reinhardt, hat Setzer auf unverwechselbare Art und Weise festgehalten.

Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts wie Giacomo Puccini, Richard Strauss, Maurice Ravel oder Arnold Schönberg setzte Setzer in den 20er-Jahren ebenso ins Bild wie den Operettenkomponisten Franz Lehár.

Der Trick beim fotografischen Porträt ist, hinter die Fassade zu gelangen. Die überzeugendsten Bildnisse erhellen den Charakter, also gilt die Aufmerksamkeit des Fotografen allein dem Ziel, sich einen Teil der Seele zu nehmen und den Beobachter die Wahrheit hinter der Maske erahnen zu lassen.

Persönlichkeit im Bild

Eine Zeitreise in die 1920er-Jahre
BILD zu OTS - Franz Xaver Setzer (1886-1939), Der Schriftsteller Stefan Zweig mit seiner Frau Friderike,1927, Fotografie, Silbergelatineabzug,13,3 x 8,4 cm, Photoarchiv Setzer-Tschiedel - Bild zur Franz Xaver Setzer Präsentation im Leopold Museum
Im Foto gelingt Setzer ohne viel Aufwand die Natürlichkeit des Ausdrucks. Heute beeindruckt die zugleich malerische wie fotografische Wirkung dieser Bilder. Sie erlauben oft auch durch eine raffinierte Lichtführung einen frappierenden Zugang zur Persönlichkeit des oder der Porträtierten. Die überzeugendsten Bildnisse erhellen den Charakter, offenbaren ein Stück der Persönlichkeit.

Der Fotograf „sieht“, das heißt fotografiert, was andere nicht sehen. Aber er entlarvt nicht das Geheimnis, sondern bringt es diskret zur Anschauung. Menschen ins Licht zu setzen, war Setzers Kunst. Damit hat er der Fotogeschichte ein neues Kapitel hinzugefügt.

Objektiv ist eigentlich ein falscher Name für die Linse eines optischen Gerätes. Denn er suggeriert strenge Sachlichkeit. Dass wir an das glauben müssen, was zu sehen ist. Dabei bleibt das Wesentliche unsichtbar. Die Bezeichnung entstand in einer vulgären Phase der Aufklärung, als man glaubte, die Welt wissenschaftlich entschlüsseln zu können.

Geheimnis

Aber nichts da. Wir haben tausend Türen aufgesperrt, und dahinter liegen immer wieder neue. Den Augen können wir längst nicht mehr trauen. Und das ist vielleicht ein Glück. Denn Räume, die wir bis in den letzten Winkel kennen, und Menschen, die uns auf den ersten Blick alles und noch mehr verraten, sind doch unerträglich. Das Geheimnis ist der Nährstoff des Lebens.

Ein Sprichwort sagt: Das Auge ist des Herzen Zeuge. In dessen und anderen dunklen Kammern lebt die Wahrheit. Der Fotograf muss also lieben. Und nicht wie einen Gegenstand erfassen. Erst Liebe macht Sachlichkeit möglich. Der Porträtist muss eine dicke Nase unsichtbar machen. Einerseits. Andere Seiten wiederum muss er sichtbar machen.

„Ein Kunstwerk soll uns immer beibringen, dass wir nicht gesehen haben, was vor unseren Augen liegt“, sagt der Dichter Paul Valery. Wie die Fotos von Setzer.

Mit seinen zwei Augen und dem dritten Auge zeigt er uns mehr als nur eine Person. Deshalb sollte das Objektiv besser Subjektiv heißen.

Das mondäne Alt-Wien

Ausstellung

„Wiener Gesellschaft“ zeigt mehr als 100 Porträtfotos von Franz Xaver Setzer (1886–1939) aus den 20er- und 30er-Jahren – von Stefan Zweig bis Arnold Schönberg, von Grete Wiesenthal bis Maria Jeritza.

Schauspieler-Legenden

Beeindruckend sind u.a. Fotos von Conrad Veidt als Cesare im Film „Das Cabinet des Dr. Caligari“, Raoul Aslan, Emil Jannings, Attila Hörbiger, Paula Wessely, Ewald Balser und Wolf Albach-Retty.

Wann & Wo

Bis 13. 1. 2015, MuseumsQuar- tier Wien täglich außer Di. 10–18 Uhr, Do. 10–21 Uhr; Di. geschl.

Links

www.leopoldmuseum.org

www.setzer-tschiedel.at

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