Luc Bondy: Adieu mit Vielfalt und Unruhe

Festwochen
40 Produktionen aus 40 Ländern werden vom 10. Mai bis zum 16. Juni bei den Wiener Festwochen zu sehen sein.

Guten Tag! Auf Wiedersehen! Oder besser: Adieu!“ Luc Bondy gibt den Abschied nach 16 Jahren an der Spitze der Wiener Festwochen und „will nicht sentimental sein“. Gezeigt werden heuer bei Wiens größtem Kulturfestival vom 10. Mai bis 16. Juni „so verschiedenartige Projekte wie noch niemals zuvor als Gruß an die Stadt“, so Bondy, „als eleganter Abschiedgruß, der hoffentlich Spaß macht“.

Wienerlied

Beim traditionellen Eröffnungsfest am 10. Mai auf dem Rathausplatz heißt es heuer „Wien, Wien, nur du allein?“ Nicholas Ofczarek moderiert einen Abend rund ums Wienerlied: „Das hat eine unglaubliche Tiefe und zugleich Oberflächlichkeit, eine unglaubliche Laune und Härte – und sagt noch was über ein Wien, das es heute irgendwie so nicht mehr gibt.“

Luc Bondy inszeniert Molieres Klassiker „Tartuffe“ mit Gert Voss, Edith Clever und Johanna Wokalek: „Dabei geht es um die Lüge, die in der Politik mittlerweile selbstverständlich geworden ist“, so Bondy in Anspielung auf den Schwarzgeld-Skandal um den französischen Ex-Budgetminister Jerome Cahuzac, der ihn bei der Regiearbeit inspiriert habe.

Theater-Comeback

Bruno Ganz spielt nach sechs Jahren wieder Theater in Harold Pinters „Heimkehr“ („Le Retour“), einem Gastspiel des Odéon Théâtre de l'Europe, das Bondy leitet.

Christoph Marthaler bespielt mit „Letzte Tage. Ein Vorabend“ den historischen Sitzungssaal des Parlaments. Im Mittelpunkt steht Musik von in der Nazi-Zeit vertriebenen und in Konzentrationslagern ermordeten Komponisten.

In „Der ganze Himmel über der Erde: Das Wendy-Syndrom“ erkundet die Spanierin Angélica Liddell die Peter Pan- und Wendy-Syndrome, also das Nicht- erwachsen-werden-Wollen und das Nicht-verlassen-werden-Wollen: „Erzählt wird davon, wie die Zeit vergeht, vom Verlust der Jugend und wie wir alle abscheulich und widerlich werden, wenn wir altern.“ Die Probleme des Alterns schmerzhaft spür- und sichtbar machen auch die drastischen und atemberaubenden Theaterbilder von Romeo Castelluccis Arbeit „Sul concetto di volto nel figlio di Dio“ („Über das Konzept des Angesichts von Gottes Sohn“).

Nicolas Stemann untersucht in seiner Happeningartigen Aktion „Kommune der Wahrheit. Wirklichkeitsmaschine“ die Auswirkungen der Nachrichten- und Informationsflut des 21. Jahrhunderts. Für das Social-Media-Projekt setzen sich der deutsche Regisseur und seine Schauspieler 120 Stunden ununterbrochen dem Nachrichtenstrom aus, um dann die verarbeiteten Ereignisse in jeder Vorstellung theatralisch neu umzusetzen.

Die Höhepunkte im überschaubaren Musiktheater-Angebot sind George Benjamins „Written on Skin“. Und der Film- und Opernregisseur Philipp Stölzl, der erstmals in Wien arbeitet, empfindet Verdis Klassiker „Il Trovatore“ eher „so wie ein Punkkonzert“, als „Extremtheater, das man herausdestillieren kann“. Bei „Join!“, einer satirisch-komischen Oper des Jazz-Musikers Franz Koglmann, dreht sich alles um den Cyberspace und den Turbokapitalismus.

Für „Into the City“ unter dem Motto „music and politics“ fungiert das Wien Museum am Karlsplatz als Festivalzentrum: Eröffnet wird am 11. 5. mit einem Open Air Konzert u. a. mit Stefan Weber und der „Anarcho“-Band Drahdiwaberl, denen auch die Ausstellung „Blutrausch“ gewidmet ist.

Luc Bondy: Adieu mit Vielfalt und Unruhe

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Luc Bondy: Adieu mit Vielfalt und Unruhe

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"Into the City"-Leiter und Neo-Chef des Volkstheater-Hundsturms Wolfgang Schlag freute sich über die "sehr direkte Verschmelzung zwischen 'Into the City' und dem Musiktheaterprogramm". Im Kern seines Programms mit dem Titel "Music and Politics" gehe es "um das kreative Widerstandspotenzial gegen politische Ungerechtigkeiten" mithilfe von Musik und Kunst. Als "wichtiges Thema" zieht sich der "Arabische Frühling" durch das Programm, das unter anderem Rap und zeitgenössische Protestkultur aus Syrien, eine Queer-Performance aus Malaysia oder die "Allah Made Me Funny"-Tour des US-Comedian Azhar Usman umfasst.

Ihr "sehr hybrides" Programm stellte Schauspieldirektorin Stefanie Carp (die 2014 von der Belgierin Frie Leysen abgelöst wird) vor. Mit dem Ausstellungs- und Performance-Parcours "Unruhe der Form. Entwürfe des politischen Subjekts" wolle man den "sehr riskanten Weg des Theaters hinein in die Ausstellungsräume gehen", während es die Bildende Kunst in den vergangenen Jahren bereits in Theaterräume hineingetrieben hätte. Diese "Format-Transformationen" würden sich auch mit der "Unsicherheit auseinandersetzen, wie man mit der Gegenwart umgehen soll".

Ebenfalls politisch sieht Luc Bondy seinen "Tartuffe" (Premiere am 24. Mai): "Das wurde schon 120 Milliarden mal gespielt, aber es ist immer noch ein irres Stück", so der Intendant. Es gehe um die Lüge, "die in der Politik mittlerweile selbstverständlich geworden ist", so Bondy in Anspielung auf den Schwarzgeld-Skandal um den französischen Ex-Budgetminister Jerome Cahuzac, der ihn bei der Erarbeitung des Stücks inspiriert habe.

Politisch im historischen Sinne wird es hingegen gleich bei zwei weiteren Produktionen: Während Miroslav Krlezas "In Agonie" in der Inszenierung von Martin Kusej sich dem Zagreb am Vorabend des ersten Weltkriegs widmet, arbeitet Christoph Marthaler in seinem Musik-Theaterprojekt "Letzte Tage. Ein Vorabend" im historischen Sitzungssaal des Parlaments mit "Musik, die nicht verloren gegangen ist, aber deren Komponisten im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden", so Stefanie Carp in Bezug auf Komponisten wie Erich Wolfgang Korngold, Erwin Schulhoff oder Rudolf Karel, deren Werke u.a. erklingen werden. Besonders am Herzen liegt der Schauspieldirektorin Johan Simons Inszenierung von Lot Vekemans "Gift. Eine Ehegeschichte", nachdem Simons geplante Bearbeitung von Houellebecqs "Karte und Gebiet" mit dem Schauspieler Jeroen Willems nach dessen plötzlichem Tod abgesagt wurde.

Festwochen-Geschäftsführer Wolfgang Wais verwies auf die Möglichkeit, demnächst wieder Karten kaufen zu können, die derzeit als "online nicht mehr buchbar" aufscheinen, da für den Vorverkauf an den Kassen ein eigenes Kontingent geöffnet wird. Alle Karten, die bis 27. April (13 Uhr) nicht direkt an den Kassen gekauft werden, stehen danach auch den Webshop-Kunden zur Verfügung. Frei ist der Eintritt übrigens wie stets bei der Eröffnung am Rathausplatz am 10. Mai (21.20 Uhr): Der Abend mit dem Titel "Wien, Wien, nur du allein?" wird von Nicholas Ofczarek moderiert und versammelt Stars wie Angelika Kirschlager, Ernst Molden oder Willi Resetarits & Stubnblues.

Luc Bondy, der "Verabschiedungen genauso wie die Sonntagsworte im Fernsehen" grauenvoll findet, schloss mit den Worten: "Unser Ende und unser Dankeschön werden die Produktionen sein! Danke und auf Wiedersehen."

Regisseur Martin Kusej sprach im Interview über sein Stück "In Agonie", "eine Titanic-artige Produktion", die ab 23. Mai bei den Wiener Festwochen" zu sehen ist. Außerdem über den Urschock des Ersten Weltkrieges und seine geplante "Faust"-Inszenierung.

"In Agonie" haben Sie auch als Titel für Ihr gesamtes Projekt gewählt. Warum?

Kusej: Meine These für dieses Projekt ist, dass die Ereignisse des Ersten Weltkriegs eine so traumatische Erfahrung für den ganzen Kontinent, aber insbesondere für Mitteleuropa und für Österreich waren, dass wir exakt 100 Jahre später immer noch davon beeinflusst sind. Diese fundamentale Erfahrung von Infragestellung der eigenen Identität, von Orientierungslosigkeit, von Verlust von Werten und Zusammenhängen, hat uns in einen unbewusst weiterwirkenden Zustand der Agonie gebracht hat. Im heutigen Schulunterricht wird der Erste Weltkrieg sehr vom Zweiten Weltkrieg zugedeckt. Aber der Zusammenbruch der Monarchie, das Ende von Aristokratie und Offizierskaste und natürlich die völlige Neuordnung der Grenzen und Identitäten – dieser Urschock wirkt noch Generationen danach weiter. Auch ganz persönlich-biografisch: Für einen Kärntner Slowenen wie mich ist der ganze Komplex um die Volksabstimmung 1920 und den Abwehrkampf entscheidender als die Kämpfe von Partisanen und Nazis im Zweiten Weltkrieg.

Bräuchten Sie die Wiener Festwochen überhaupt für so ein Projekt?

Wir hätten es auch ohne die Festwochen produziert, aber es wäre schon immens schwer geworden. Das ist schon so eine Titanic-artige Produktion. Ich finde mittlerweile die Kooperation mit Festivals und anderen Theatern völlig legitim, es ist befruchtend und auch spannend. Ich bin angetreten, um das Residenztheater in einem europäischen Kontext von Produktionen zu vernetzen. Nach eineinhalb Jahren kann ich sagen: Das ist gelungen.

Nach Ihrer ersten Saison haben Sie gemeint, Sie und Ihr Team hätten zu viel gewollt, zu viel gepowert und wollten zunächst wieder etwas leiser treten. Ist auch das gelungen?

Dieser Plan ist nicht gelungen. (lacht). Aber viel ist aufgegangen. Die Anstrengung, aus Erfahrungen zu lernen, zahlt sich enorm aus. Ich habe unterschätzt, dass sich ein so großes Schiff nicht innerhalb von ein paar Monaten auf einen anderen Kurs bringen lässt. Es reicht nicht, zu sagen „Jetzt komme ich“, und dann ist gleich alles anders. Dieses eine Jahr hat es gebraucht, und jetzt sind wir sehr gut unterwegs.

Ist das Münchner Publikum dabei mit an Bord?

Die Zuschauerzahlen sprechen dafür. Wir haben derzeit eine Auslastung von 80,5 Prozent und liegen damit über der ersten Saison. Teile unseres Publikums sind die Veränderungen nicht mitgegangen. Wir haben dafür aber neues, vor allem auch jüngeres Publikum gewinnen können, das brauchte natürlich Zeit.

Mit welcher eigenen Inszenierung hält der Kapitän im kommenden Jahr den Kurs?

Ich mache „Faust“, den ersten Teil. Den habe ich noch nie gemacht. Ich wollte ihn früher nie machen, aber es gibt in meiner Entwicklung als Regisseur Stücke, die ich erst jetzt anfange, interessant zu finden und beginne zu verstehen. Dazu zählt auch „Das weite Land“ (das Schnitzler-Stück inszenierte Kusej 2011 in München, Anm.). Ich nähere mich altersmäßig allmählich der „Faust“-Zeit an. (schmunzelt) Und natürlich ist der „Faust“ eine Triple-A-Produktion für ein Theater. Das muss dann schon der Chef machen.

Bei den Wiener Festwochen wird Markus Hinterhäuser im kommenden Jahr der Chef.

Ich finde das gut. Ich schätze Markus Hinterhäuser sehr und finde auch, dass wir künstlerisch eine große Verwandtschaft haben.

Hinterhäuser war genau ein Jahr Salzburger Festspiel-Intendant. Wollen Sie die derzeitigen Diskussionen um die Salzburger Festspiele kommentieren?

Da habe ich schon vor Jahren alles dazu gesagt. Es hat aber nie die geringste Gegenreaktion oder ein Nachdenken darüber ausgelöst. Also habe ich nichts mehr dazu zu sagen.

Anders gefragt: Ist es unter den gegenwärtigen Umständen vorstellbar, dass Sie wieder einmal in Salzburg arbeiten?

Nein. Das hat aber ganz andere Gründe: Ich bin jetzt Intendant eines fixen Hauses und arbeite das ganze Jahr über. Da will ich im Sommer einfach freihaben und mit meinem Sohn bergsteigen und schwimmen gehen.

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