Luc Bondy: "Ein freundliches Aufwiedersehen"

APA7691436 - 27042012 - WIEN - ÖSTERREICH: Intendant Luc Bondy am Freitag, 27. April 2012, im Rahmen einer PK zu den Wiener Festwochen "Programm 2012".. APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH
Luc Bondy verabschiedet sich von den Wiener Festwochen (10. Mai bis 16. Juni).

Nach den Festwochen verlässt Luc Bondy heuer im Sommer endgültig Wien Richtung Paris, wo er seit dem Vorjahr das Odéon-Théâtre leitet. Als „absoluter Jetzt-Mensch“, der „nicht interessiert“ ist an seiner Vergangenheit, zieht er im KURIER-Gespräch eine „Bilanz des Moments“.

KURIER: Herr Bondy, Sie proben gerade Molières „Tartuffe“ im Akademietheater. Wie inszeniert man die Lüge?Luc Bondy: Die Lüge gibt es nicht als solche, sondern nur im Zusammenhang mit Menschen. Wie bei Molière. Aber wir haben es alle unlängst erlebt, und man konnte es sehen: als der französische Ex-Budgetminister Jerome Cahuzac vor dem versammelten Parlament sagte, er besitze keine Konten im Ausland. Da konnte man die Lüge im nachhinein als Ausdruck sehen.

Da hatte die Lüge sehr kurze Beine.
Ja. Und Tartuffe bei Molière lügt ununterbrochen. Aber wie Georges Bernanos in seinem Roman „L'Imposture“ sagt: „Jeder ist einmal durchweht von Lüge.“

Tartuffe“ haben Sie bearbeitet. Was war da zu tun?
Viel. Ich habe versucht, mit Peter Stephan Jungk eine eigene Fassung zu machen, die ein bisschen weniger verkleidet ist in den Zeiten. Bei Molière ist immer der Schluss eine Katastrophe. Da machen wir etwas. Ohne Deus ex Machina.

Wie haben Sie es geschafft, Bruno Ganz in Pinters „Le Retour“ nach sechs Jahren wieder auf die Bühne zu bringen? „Die Zeit“ schrieb: „Ein grimmiges, triumphales Comeback.“
Das war nicht schwierig. Ich habe ihn angerufen und mit ihm sehr viel gearbeitet. Auch am Text. Das war sehr schön, ein tolles Erlebnis. Er war so lange nicht auf der Bühne zu sehen, weil er keine Lust hatte und sich mit der Art Theater, das gerade ist, nicht wohlfühlte.

Tartuffe“ und „Le Retour“: Ihre Abschiedsgeschenke als Festwochenintendant für Wien?
Ja. Ich hoffe, dass ich es schaffe, mit beiden ein freundliches „Auf Wiedersehen“ zu sagen.

Wie ist Ihre Bilanz für Wien?
Ich mache nur die Bilanz des Moments. Ich hoffe, meine beiden Inszenierungen werden selber eine Art Konzentrat der Bilanz sein, die in all den Jahren immer unterschiedlich war. Aber darüber urteilen sollen andere. Ich glaube, ich habe geholfen, dass Wien wieder eine richtige Theaterstadt wurde.

Haben sich Ihre hohen Ansprüche erfüllt über die Jahre?
Ja, sehr viele. Alle waren da: Zadek, Stein, Castorf … Große Verdienste hat auch Christoph Marthaler, für mich ein interessanter und hochspannender Künstler.

War es jemals kritisch für Sie?
Als die ÖVP-Koalition mit der FPÖ war, habe ich mir schon Fragen gestellt. Aber nicht bis zum Ende, dass ich aufhöre. Ich habe nur deutlich gesagt, was ich davon halte, und was es für ein Klima in der Stadt sein könnte, wenn sich da so etwas plötzlich durchsetzen würde.

Was war nicht zu realisieren?
Ich hätte gern noch eine Shakespeare-Inszenierung gemacht. Aber im Burgtheater wäre es vielleicht schwer gewesen. Ich glaube, da war man von meinem „Lear“ nicht so angetan.

Matthias Hartmann hat ihn schnell abgesetzt und fand, Sie hätten Ihre Inszenierung von 2007 überarbeiten müssen. Wie fühlen Sie sich, dass jetzt eine Neuinszenierung von Peter Stein mit Klaus Maria Brandauer angekündigt wurde?
Ich glaube, trotz allem wird Gert Voss als Lear unvergessen bleiben.

Wie ist die Situation in Paris?
Frankreich befindet sich momentan in einer großen Krise. Kultur wird nicht mehr so stark gefördert. Alles geht schlechter, auch die Kultur. Und statt dass man in solchen Zeiten wie seinerzeit bei Jack Lang unter François Mitterrand die Kultur besonders hoch hebt, wird sie jetzt stiefmütterlicher behandelt. In Wien ist noch das Geld für Kultur da. Das Burgtheater hat noch sehr viel Geld.

Wie geht’s im Odeon in Paris?
Ich habe mehr als 99 Prozent Auslastung und einen Spielplan, der die Leute reizt. Klassiker und Moderne. Alles. Nächstes Jahr inszeniert Patrice Chereau „Wie es euch gefällt“, ich mache „Die falschen Geständnisse“ von Marivaux mit Isabelle Huppert und Yves Jacques, dem Protagonisten in „The Andersen Project“ von Robert Lepage bei den Wiener Festwochen 2009. Außerdem bringen wir Tschechows „Platonow“, Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“, ein Projekt mit Katie Mitchell, und Martin Kusej kommt mit Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“.

Was halten Sie davon, Film­regisseure – wie Michael Haneke in Madrid – für Oper oder Theater zu engagieren?
Ich finde, Film und Oper sind sich weniger fern als Theater und Film.

Wie reagieren die Künstler auf die reale Krisensituation?
Es gibt jetzt viel mehr Politisierungen und Dokumentarstücke aus anderen Ländern, wo die Situation krasser war. Man sieht bei den Leuten eine große Europa-Skepsis.

Und was kann Theater?
Es kann Menschen nicht ändern und für sie auch nicht denken. Es kann nur in der Zeit, wo es passiert, zeigen, dass bestimmte Leute Ängste haben oder Mahnungen ausdrücken über Zeiten, die kommen werden. Das sogenannte politische Theater ist kein Programm mehr, sondern vielleicht eine Notwendigkeit geworden – im Sinne von: Wie redet man jetzt im Theater? Was soll es?

Die Leitung der Salzburger Festspiele, jetzt zum „besten Festival der Welt“ gewählt, hat Sie nie gereizt?
Nein. Salzburg ist halt wie eine unumgängliche Kathedrale. Ich habe wenig Kontakt zu Salzburg. Obwohl ich ja etwas machen soll bei Pereira von György Kurtág. Und ein Opernprojekt über Charlotte Salomon, die in Auschwitz 1943 ermordete deutsche Malerin.

Wie fühlen Sie sich mitten in Ihrer letzten Saison in Wien?
Vor dem Weggehen zu arbeiten ist besser als wenn alles erst beginnt. Dann trägt man nicht mehr die ganze Verantwortung des Kommens mit.

Dazu kommt, dass man in Wien ja meist erst von der schlechten Nachrede geadelt wird. Apropos: Gibt es Kontakte nach New York, wo Ihre moderne Inszenierung von Puccinis „Tosca“ im scharfen Kontrast zur Vorgänger-Version von Franco Zeffirelli an der Metropolitan Opera 2009 ausgebuht wurde?
Ja, es gibt schon Signale. Und jetzt heißt es auch plötzlich in der New York Times, meine „Tosca“ sei das Beste, was je war.

Ist das nicht ein Treppenwitz der Geschichte?
Ja. Und gestern fragte mich ein Wiener Taxi-Fahrer: „Sagen S' Herr Bondy, ich hab da in der Zeitung gelesen, sind Sie nicht in Pension?“ Da antwortete ich: Absolut! Da haben Sie ganz recht.

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