Kušej: "Nicht so schnitzlerisch edel ..."
Martin Kušej, seit zwei Jahren Leiter des Residenztheaters in München, hat in Kooperation mit den Wiener Festwochen „In Agonie“ (23.–26. 5. im Volkstheater) inszeniert, drei Stücke des kroatischen Autors Miroslav Krleža. Die Trilogie beschäftigt sich mit dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie, dem Ersten Weltkrieg mit seinen Folgen bis heute.
KURIER: Herr Kušej, warum inszenieren Sie Miroslav Krleža, der im deutschsprachigen Raum noch kaum auf keiner Theaterbühne gezeigt wurde?
Martin Kušej: Miroslav Krleža ist ein großer europäischer Autor, das kann man ohne Übertreibung sagen. Er hat 80 Jahre des 20. Jahrhunderts erlebt, war vor und nach dem Zweiten Weltkrieg einer der einflussreichsten Autoren und Intellektuellen in Jugoslawien, seine Bildung und sein Horizont waren immer europäisch. Er war undogmatischer Kommunist, ein enger Vertrauter Titos, vielleicht steht auch das seiner Rezeption heute im Weg.
Was macht für Sie die Qualität bzw. Faszination dieses bei uns kaum bekannten Autors aus?
Ich plane schon seit 25 Jahren, Krleža zu inszenieren. Auf seine Stücke bin ich gestoßen, als ich damals in Slowenien erste Inszenierungen gemacht habe. Mich hat von Anfang an die Verbindung von ausgeprägtem historischen Bewusstsein und präziser Beobachtung an Menschen gepaart mit seiner enormen theatralischen Wucht fasziniert.
Den Niedergang von Österreich-Ungarn haben auch Robert Musil und Joseph Roth beeindruckend beschrieben – was unterscheidet Krleža in seiner Position, Sicht und Beschreibung der Ereignisse von diesen Autoren?
Vor allem sein völlig unsentimentales Verhältnis zur untergegangenen Epoche. Er weint Habsburg keine Träne nach. Das hat sicher auch mit seiner geopolitischen Lage zu tun. In Zagreb war der Zusammenbruch des Habsburgerreiches viel weniger ein Verlust, als vielmehr eine Chance, auch wenn Krležas Hoffnungen sich schnell wieder zerschlugen. Mir erschienen seine Stücke einerseits immer wie ein Teil der österreichischen Dramatik, aber nicht so schnitzlerisch edel, sondern irgendwie dreckiger und provinzieller. Weiter entfernt vom eigentlichen Zentrum der Macht, rauer und unverstellter. Die Emotionen der Figuren liegen näher an der Oberfläche, da ist nicht so viel Form und Konvention, und das ist theatralisch natürlich extrem dankbar.
Es heißt: Von der Intention, streckenweise auch stilistisch, ist Krležas Werk mit den „Letzten Tagen der Menschheit“ von Karl Kraus vergleichbar. Korrekt? Mit Kraus verbindet Krleža angeblich auch sonst einiges?
Ich finde, die Unterschiede überwiegen. Kraus ist ein brillanter Satiriker. Auch Krleža hat satirische Texte geschrieben, aber in seinen Dramen spielt das keine Rolle. Er überzeichnet, er hat einen Blick für das Monströse, ja, aber er tritt nie von außen an die Dinge heran. Eine Figur wie der „Nörgler“ in den Letzten Tagen der Menschheit, ein Sprachrohr des Autors, lässt sich bei Krleža nicht denken. Das hängt mit dem wichtigsten Unterschied zusammen: Krleža ist Theatraliker, er schreibt nicht für ein Marstheater, wie Kraus das formuliert hat, sondern für hier und jetzt. Er hat in offenem Kampf mit der sowjetischen Literaturdoktrin gelegen, weil er Theater und Literatur nicht als Instrument zur Verbreitung von Meinungen begriffen hat. Sie hören es schon heraus: Zu „Die letzten Tage der Menschheit“ fehlt mir als Regisseur der Zugang.
Die Trilogie „In Agonie“ erzählt vom Untergang einer Welt. Und was sagt uns Krleža über die Stellung der Kunst in Zeiten des Umbruchs?
Das ist ein ganz wichtiges Thema in wenigstens zwei der drei Stücke, die wir zu dieser Trilogie zusammengefasst haben. Sowohl im ersten Teil „Die Glembays“, wie auch im zweiten, „Galizien“, stehen junge Künstlerfiguren im Mittelpunkt, die gegen ihre Umwelt rebellieren. In den Glembays kehrt ein Maler nach langer Zeit wieder in sein großbürgerliches Elternhaus zurück, um mit seinem Vater und seiner Stiefmutter, aber auch mit der Familiengeschichte und einer ganzen Lebensweise abzurechnen. In „Galizien“ findet sich ein junger Pianist im Ersten Weltkrieg an der Front wieder und erträgt es nicht, für die barbarischen Rituale einer untergehenden Offizierskaste die Hintergrundmusik zu liefern. Trotzdem sind beides nicht eigentlich Künstlerdramen im klassischen Sinn, sondern sie stellen anhand der Künstlerfiguren die Frage nach den Möglichkeiten eigensinnigen, widerständigen Handelns überhaupt. Das betrifft aber natürlich die Kunst zentral. Diese Frage hat sich Krleža, vor allem zwischen den Kriegen, in der Entstehungszeit der Stücke, existenziell gestellt, aber sie ist für jede künstlerische Praxis von Bedeutung.
Welche Wahrheit(en) lässt/ lassen sich aus „Agonie“ destillieren? Auch in Bezug auf die Gegenwart?
Krleža zeigt an diesen jungen aufbegehrenden Figuren, wie schwer es ist, sich aus den Bindungen und Mentalitäten seiner Herkunft zu lösen. Trotz der Auflehnung gegen den Vater und die Vorgesetzten sind diese Figuren ganz in den alten Denk- und Werte-Systemen gefangen. Deswegen enden ihre Rebellionen tödlich, aber ohne gesellschaftliche Perspektive. Das haben die Genossen dem Dramatiker Krleža sehr übel genommen.
Mit der Art, wie Sie Theater machen, legen Sie oft ganz bewusst den Finger in eine Wunde und provozieren damit Erregung, Empörung, Irritation. Auch in Agonie?
Dass wir uns heute wieder so intensiv mit 1913/’14, dem Ersten Weltkrieg und seinen Folgen beschäftigen, zeigt, dass diese Ereignisse ein Jahrhundert später immer noch nachwirken. Meine These für dieses Projekt ist, dass die fundamentale Erfahrung von Infragestellung der eigenen Identität, von Orientierungslosigkeit, des Verlusts von Werten und Zusammenhängen, uns in einen unbewusst weiterwirkenden Zustand der Agonie gebracht hat. Das ist eine Wunde. Für einen Kärntner Slowenen wie mich bestimmt.
Kommentare