Handke-Stück: Papierenes ist jetzt lebendig

Handke-Stück: Papierenes ist jetzt lebendig
Ein Füllhorn voller Fantasien: Luc Bondy brachte bei den Festwochen Peter Handkes "Die schönen Tage von Aranjuez" zur Uraufführung.

Wenn sich zwei Schauspieler voller Leidenschaft diesem Stück hingeben, dann wird das ein großer Theaterabend. Schrieb vor einiger Zeit ein Rezensent des Mitte März bei Suhrkamp erschienenen Handke-Textes "Die schönen Tage von Aranjuez".
Ein Glück.
Es kam genau so.

Festwochen-Chef Luc Bondy legte höchstselbst Hand an Handke. Und goss ein Füllhorn szenischer Fantasien über den 69 Seiten langen Augenlidbeschwerer. Bei der Uraufführung im Akademietheater wurde sogar gelacht. Sacre bleu! Wo der Dramatiker doch so bemüht ist, jeden seiner kunstvoll gedrechselten Weltsichtsätze zitatenschatztauglich abzufassen. Aber da darf halt kein Jens Harzer einen Doppel-D-BH quer über die Bühne schnalzen.

Hart am Slapstick

Harzer als "Der Mann" und Dörte Lyssewski als "Die Frau" schenken Handke sein Stück zurück. Mit ihrer großen Lust am Spiel, an Spielereien bis zum Slapstick. Mit  Gänsehautstimmen. Ob’s  ihnen der Dichterfürst dankt, sei dahingereimt. Beim Schlussapplaus fehlte er. Obwohl das Bühnenbild von Tochter Amina Handke stammt. Die sich gern und mehrmals verbeugte.

"Die schönen Tage von Aranjuez ... sind nun zu Ende" ist der erste Satz aus Schillers "Don Carlos".  Handkes danach benannter "Sommerdialog" ist ein steriles Doppelmonologisieren.

Er, während  er sich selbst in Naturbetrachtungen ergeht, fragt sie über ihre Liebschaften aus. Sie erzählt dann vom Vollzug wahlweise auf Vogelkot (im Garten) und Menschenexkrementen (nicht fragen: es war in einer stillgelegten Saline!). Er outet sich als Johannesbeerenfetischist. Die "Explosion von deren Säure und gleichzeitiger Süße" auf seinem Gaumen stilisiert Handke zum orgiastischen Höhepunkt seines Werks.

Bondy bricht diese Pathos-Poesie. Frech und schamlos. Macht aus einem Fast-Nichts ein Fast-Alles.

Gedankenfreiheit

Und bleibt doch ganz beim Ausgangsthema. Bei spanischem Mühlsteinkragen, Brustharnisch, Herrenstrümpfen, großem Kleid – in der Modefarbe schwarz. Als ob Königin Elisabeth und Marquis Posa (das ist der mit dem berühmten: "Sire, geben Sie Gedankenfreiheit"-Satz) zum Geheimtreffen antreten.  Selbst, dass sich Harzer zum Schluss nach einem Schuss mit einer Tube Theaterblut besudelt, passt da ins Bild.

Als dann – Tatütata – eine Rettungssirene ertönt, meint er: Der nächste Ambulanzwagen gehöre aber ihm.

Langsam schält Bondy seine Protagonisten aus den historischen Kostümen ins Universelle, ironisiert die von Handke aufgestellten Mann-Frau-Regeln, indem er Harzer mit Indianerhäuptlingsfedern, als patscherten Ober mit Riesen-Moustache oder  Insektenkiller verkleidet.

Noch ein Mann also, der die Seelenausschüttung einer Frau nicht ernst nimmt. Man denkt, dass Harzer zuletzt in "Immer noch Sturm" als Handkes Alter Ego auftrat. Und der lebenslang kein unkompliziertes Verhältnis zu Frauen pflegte.

Die wunderbare Dörte Lyssewski entzieht sich. Singt "Non, je ne regrette rien". Aber nur, um gleich darauf zu sagen, dass das auf sie nicht zutrifft.

KURIER-Wertung: ***** von *****

Fazit: Wie man aus fast nichts fast alles macht

Vorlage
Handkes Theatertext ist wie eine subtile Herausforderung an Regie und Schauspieler: Machen Sie Ihr Spiel!

Verarbeitung
Luc Bondy und seine Darsteller taten es. Und gaben sich dem Rollenspiel voll hin. Allein dafür gibt es diese:

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