"Groß und Klein": Cate im Wunderland
Aber mitunter werden sie durch Schauspielkoryphäen wie Cate Blanchett zum Ereignis. E hrlich gesagt: Es geht vor allem darum, Hollywood-Star Cate Blanchett aus nächster Nähe zu sehen, wie sie in "Groß und Klein" brilliert. Denn das Stück von Botho Strauß – ins Englische übersetzt von Martin Crimp – hält längst nicht mehr, was es bei seiner Uraufführung 1978 versprochen hat. Vom kommunikationsgestörten Wortwitz der Figuren abgesehen.
Wie der Mensch nicht mehr zum anderen kommt, ist Strauß’ dramatische Klage und Laune. Der skeptische Blick auf die Artgenossen sein Ein-und-alles-Thema. Er glaubt noch ans Paar als Möglichkeit, als Utopie und lächelt über die Paar-Unmöglichkeiten in seinen Stücken traurig bis zornig.
Aber "Groß und Klein", der zeitgeistkritische Klassiker von gestern, taugt noch allemal zur Trägerrakete für die australische Oscar-Preisträgerin. Sie schafft es mühelos, der grotesken Tragik Raum und einer Außenseiterin Profil zu geben. "Amazing!" ist das in allen Variationen zerdehnte Keyword und der Running Gag in der Farce rund um die quirlige, exaltierte, kommunikationssüchtige Lotte.
Amazing ist auch die atemberaubende Performance der Blanchett. Sie zieht einen gleich zu Beginn in einem fulminanten Solo wie mit einem Jumbo-Jet hinein in die unergründbare Seele einer abgründigen Frau. Und lässt uns einen Blick ins Hirnhinterzimmer werfen, wo der Wahn wohnt.
Verzweiflungsreise
Die Kraft der kulturpessimistischen Gegenwartsanalyse von einst hat sich verflüchtigt. Aber das Psychogramm einer Frau, die vergeblich an Türen klingelt und erfolglos an den Fenstern einer emotional erkalteten Gesellschaft kratzt, wird in der soliden Inszenierung von Benedict Andrews zum Schaustück allerhöchster Schauspielkunst. "Alles ist sehr einfach: Nichts klappt" ist die Diagnose in "Groß und Klein".
Und Cate Blanchett eine Klasse für sich. Wie sie mit der Grafikmappe unter dem Arm durch die deutsche Provinz reist, vom Wahn befallen, ihre nichtsnutzigen Mitmenschen beglücken zu müssen. Wie sie fremden Stimmen lauscht, durch Fenster in fremde Schlafzimmer blickt und die Bewohnerin mit Komplimenten überschüttet. Wie sie in leeren Häusern nach Kontakt giert. In Betonwüsten mit einer gefrusteten Kindheitsfreundin nur noch über die Gegensprechanlage redet. Ihrem Ex-Mann hinterherweint. In Abfallkörben wühlt, um am Ende festzustellen: "Mir fehlt ja nichts."
Heilige Närrin
Delirante Daueroptimistin, verhuschte Neurotikerin an der Kippe zur Psychose, Einsame, weltentrückte Abenteurerin, labile Alice im Wunderland ... ?
Was von Lotte zu halten ist, liegt allein im Auge des Betrachters. Cate Blanchetts ebenso perfektes wie berührendes Spiel im sehr reduzierten Bühnenbild von Johannes Schütz ist eine Gratwanderung zwischen Normalität und Wahnsinn, lässt vieles in der Schwebe und alle Möglichkeiten der Interpretation offen.
Neben der Weltentrückten sind die giftig alternde Schönheit, die dicke, drogensüchtige Frau, der Türke, das verklemmte Bürowürstchen, das autistische, verfressene Mädchen im Einmannzelt u. a. zwangsläufig Statisten oder Knallchargen.
Was einmal eine Milieustudie westdeutscher Befindlichkeit war, gerät hier ganz ohne Pathos zur Farce voll Witz und Ironie. Das ist gut so. Denn "Befindlichkeiten zu sondieren, gleicht dem Versuch, Badeschaum an die Wand zu nageln". Aber diese Erkenntnis hatte Botho Strauß erst später.
Fazit: Absurdes von Mensch zu Mensch
Stück: "Groß und Klein" von Botho Strauß, 1978 von Peter Stein an der Schaubühne Berlin mit Edith Clever uraufgeführt. Sydney Theatre Company und Wiener Festwochen holten das Stück aus der Versenkung.
Eindruck: Die reduzierten Bilder von Johannes Schütz erinnern an die oft in Weißlicht getauchte Bühnenästhetik von anno dazumal.
Großartig: Cate Blanchett leidet genussvoll an sich selbst.
KURIER-Wertung: ***** von *****
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