Vom Süßlichen zum Grauslichen

Michael Gerber (Zauberkönig), Moritz Grove (Erich), Almut Zilcher (Valerie), Harald Baumgartner (Rittmeister)
Wiener Festwochen im Volkstheater: Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald".

Mit einer präzise abschnurrenden, aber blutleeren Inszenierung von Ödön von Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" gastiert Starregisseur Michael Thalheimer bei den Wiener Festwochen im Volkstheater.

Süßlich schunkelt der Johann-Strauß-Walzer "An der schönen blauen Donau" herein. Überlaut und so gnadenlos, dass einige Zuschauer hektisch ihre Hörgeräte adjustieren.

Irgendwo im schwarzen Bühnenraum ohne Bühnenbild warten die Schauspieler auf ihren Auftritt im tragikomischen Reigen, der die Geschichte einer Liebe am Abgrund erzählt.

Rampenstehtheater

Im Panoptikum der traurigen menschlichen Schicksale treten sie dann aus dem Dunkeln hervor an die Rampe, exhibitionieren im grellen Licht ihre Schwächen und Charakterlosigkeiten, ihre Beschädigungen und Exzesse an Gemeinheiten und Bösartigkeiten.

Durch körpersprachliche Finessen und Wiederholungen in der Gestik entsteht eine seltsame Künstlichkeit:

Wenn die Figuren nervös und krampfhaft versuchen, in ihrem patscherten Leben ein Stück von der Torte abzubekommen. Wenn sie in ihren Vorurteilen, Sehnsüchten und Nöten gefangen sind und Kalendersprüche klopfen. Um dann wie der Fleischhauer Oskar festzustellen: "Man ist und bleibt allein." Da drängt sich dann doch Trauer ins grimmige Lachen über die Spießerkarikaturen, die Thalheimer eiskalt seziert.

Was in der Lange Gasse in der Wiener Josefstadt spielt, was im Original mit trostlosen Brutalitäten die doppelbödige Wiener Gemütlichkeit entlarvt, ist in Thalheimers Zwei-Stunden-Version im kleingeistigen Milieu eines Großstadtirgendwo angesiedelt.

In einem Milieu, in dem Dummheit und Niedertracht zur Folklore gehören.

Wer von der Verfilmung des Horváth-Stückes aus dem Jahr 1961 u. a. mit Hans Moser und Helmut Qualtinger geprägt ist, empfindet das Gastspiel des Deutschen Theaters Berlin als absolut Charme-frei. Als Snack aus der Gefriertruhe.

Trotz respektabler Schauspieler-Leistungen: Katrin Wichmann lässt als naives Trutscherl Marianne ihren Verlobten stehen, um ihr Glück beim nichtsnutzigen Hallodri Alfred zu suchen. Und rennt schnurstracks in ihr Unglück, um schließlich barbusig im Konfettischnee zu stehen und "Draußen in der Wachau" zu trällern.

Alfred alias Andreas Döhler geht nicht das schlichte Gemüt, aber jeder Schmäh ab, dass unverständlich bleibt, warum ausgerechnet diesem Provinz- Disco-Casanova alle Weiber zufliegen.

Biedermann Oskar

Peter Moltzen ist als Oskar ein tollpatschiger Biedermann, im schwarzen Traueranzug auf übergewichtig kostümiert, und nicht abgründiger Sadist. Er kämpft minutenlang mit dem Mitbringsel für seine Verlobte Marianne, bekommt die Bonbon-Schachtel zuerst nicht aus der Sakko-Tasche und scheitert dann kläglich beim Zusammenfalten an der Goldbanderl-Deko. In den kurzen Szenenapplaus mischen sich erste Buh-Rufe.

Simone von Zglinicki als Alfreds hinterhältig-bösartige Großmutter tänzelt aus eitler Freude zu ihrer Intrige gegen die ungeliebte Marianne. Almut Zilcher ist kein – wie einst Jane Tilden – in die Jahre gekommenes "süßes Mädel", sondern als Trafikantin Valerie – im Leben zu oft enttäuscht – vor allem Alkoholikerin.

Wo Komik und Tragik so kongenial verwoben sind wie bei Horváth, wo Licht und Schatten eins sind, und gut und böse das Gleiche, da gibt es die eine Wahrheit nicht mehr. Da ist nichts mehr sicher und nichts mehr, wie es scheint. Da ist auch Marianne schuldig und Alfred unschuldig. Da steht jeder einzelne verloren auf seiner Straße ins Glück, die sich letztlich doch nur als Sackgasse herausstellt.

Die Einfaltspinsel mit ihren dumpfen Lebensanschauungen macht Thalheimer schließlich zu Figuren mit Pappmasken.

Ein Wink mit dem Zaunpfahl: Namenlose Perverslinge, Clowns und Gefühlsabstinenzler gibt’s zuhauf.

KURIER-Wertung:

Besser hätte die Festwochen-Eröffnung im Konzertbereich nicht verlaufen können. Denn Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker sorgten im ausverkauften Musikverein für ein Klangerlebnis der Extraklasse.

Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker sind künstlerisch ein Herz und Seele, denn der neapolitanische Maestro lässt die Musiker einfach spielen, kostet den spezifischen Klang des Orchesters genussvoll aus und weiß, bei welchen Passagen er eventuell eingreifen muss. Die Wiener danken es ihm mit farbenreichen, emotionalen Klängen und lassen Werke richtig erstrahlen.

Schön und seriös

Etwa die vierte Symphonie von Felix Mendelssohn-Bartholdy (A-Dur), die dank Muti und den Musikern von größter Lebensfreude kündete. Muti betonte hier alle Schönheiten, aber auch den tänzerischen Duktus dieser „Italienischen“ (so der Beiname); großartige Soli machten das Glück perfekt.

Größte Seriosität prägte nach der Pause Hector Berlioz’ nicht ganz zu Unrecht selten gespielte „Messe solenelle“, wobei hier vor allem der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde zu echter Höchstform auflaufen musste und auch auflief. Eine starke Leistung der Damen und Herren, die bei diesem Jugendwerk auch Längen vergessen machen konnten.

Fabelhaft und Muti dabei stets eindrucksvoll folgend agierten auch die Philharmoniker, die selbst harmonische Tücken perfekt umschifften und dem Chor wie den Solisten exzellente Begleiter waren. Diese hatten zwar nur kurze Einsätze, doch konnten der Bassist Ildar Abdrazakov, der lyrische Tenor Saimir Pirgu sowie die Sopranistin Julia Kleiter für schöne vokale Momente sorgen. Am Ende gab es frenetischen Jubel. Am Montag folgt noch eine Reprise.

KURIER-Wertung:

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