Wiener Festwochen: Aufwühlendes Gedenken an die ukrainischen Nazi-Opfer

Wiener Festwochen: Aufwühlendes Gedenken an die ukrainischen Nazi-Opfer
Oksana Lyniv, das KSO und der „Dumka“-Chor im Wiener Konzerthaus (Von Susanne Zobl).
Ursprünglich hätte die Aufführung des Kaddish Requiems „Babyn Jar“ von Jevhen Stankovych unter der Leitung der ukrainischen Dirigentin Oksana Lyniv mit den Kyiv Symphony Orchestra (KSO) und dem National-Chor „Dumka“ Teil einer Art Friedensbotschaft der Wiener Festwochen sein sollen. 
 
Den anderen hätte Benjamin Brittens „War Requiem“ mit Teodor Currentzis am Pult des SWR Sinfonieorchesters erfüllen sollen. Ein Werk, das per se eine Erklärung gegen den Krieg ist. Dessen Uraufführung fand 1962 in der wiederaufgebauten, in der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kathedrale von Coventry mit Solisten aus England, Russland und Deutschland statt. 
 
Doch aus dem Friedensprojekt der Wiener Festwochen wurde nichts. Denn bei dessen Planung wurden die Beteiligten nicht darüber informiert. Lyniv weigerte sich, in einer Programmschiene mit Currentzis aufzutreten, weil er sich nicht gegen den Krieg in der Ukraine ausspricht und seine künstlerische Arbeit mit der von ihm in Russland gegründeten Formation „MusicAeterna“ fortsetzt. 
Die Festwochen entschieden sich gegen Currentzis. Müßig darüber zu reflektieren, wie schön es gewesen wäre, wenn die Kunst eine Vorreiterrolle in pazifistischer Angelegenheit übernommen hätte. 
 
Geblieben ist Lynivs Auftritt mit dem KSO, verstärkt durch Mitglieder des Young Symphony Orchestra of Ukraine, im Konzerthaus mit Werken zum Gedenken an die Opfer des Nazis in der Ukraine, die auch Assoziationen zur Weltlage evozieren. 
Wiener Festwochen: Aufwühlendes Gedenken an die ukrainischen Nazi-Opfer
Am Beginn stand die Uraufführung von Evgeni Orkins verstörende Vertonung von Paul Celans Gedicht „Die Todesfuge“, nach dessen Veröffentlichung Theodor W. Adorno seine Meinung revidierte, danach zu fragen, ob nach Auschwitz Gedichte möglich seien. Geräusche, eine Stimme, die Befehle ausgibt werden elektronisch eingespielt und gehen in aufwühlende symphonische Klänge über. 
 
Im Duett agieren der formidable Geiger Andrii Murza und der Schauspieler Philip Kelz. Virtuos intonierte melancholische Weisen, desperate Staccato-Rhythmen auf der Violine wechseln mit den eindringlich deklamierten Zeilen aus Celans Gedicht, umrankt von Orkins bewegender Musik. Das denkwürdige Werk hat es verdient, ins Konzert-Repertoire aufgenommen zu werden. 
Jevhen Stankovych erinnert in seinem  Requiem (Text von Dmytro Pawlytschko) an die mehr als 33.000 jüdischen Menschen, die 1941 von den Nazis in der Schlucht von Babyn Jar in der Ukraine ermordet wurden. Lyniv setzt auf Präzision, erzeugt in dieser meditativen Musik, von der einige Passagen wie der Sound für einen Film klingen, für Spannung. und sorgt für eine ausgewogene Balance zwischen Orchester, das ihr mit Hingabe folgt und dem exzellenten „Dumka“-Chor. 
 
Die Stimmen der Damen klingen in allen Lagen warm und weich, die der Herren ergänzen sonor. Tenor Alexander Schulz, Bassbariton Viktor Shevchenko und Kelz, auch hier als eindrucksvoller Sprecher, komplettieren achtbar. 
 
Stehende Ovationen nach der Zugabe, der Wiederholung des letzten Teils des Requiems.

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