Wiener Festwochen: "Festival im Ausnahmezustand"

„Obsession“ – nach dem gleichnamigen Film von Luchino Visconti – bringt Regisseur Ivo van Hove auf die Bühne – mit Jude Law
Von der "Akademie des Verlernens" bis zum "Performeum" (12. Mai bis 18. Juni).

Alles anders. Alles neu. Das ist das Signal des Neo-Intendanten Tomas Zierhofer-Kin bei der Programm-Präsentation der Wiener Festwochen (12. 5. bis 18. 6.), die thematisch passend im Flüchtlingshotelprojekt Magdas in der Leopoldstadt stattfand.

Bei Wiens wichtigstem, größtem und traditionsreichstem Kulturfestival – mit 13 Millionen Euro Budget, davon 10,5 Millionen Subvention – bleibt kein Stein auf dem anderen. Weil "sich die Welt täglich albtraumhaft zum Negativen verändert", will der 48-Jährige "einen anderen ungewöhnlichen Blick auf die Welt, die wir haben".

Zu seinem "Festival im Ausnahmezustand" wünscht er: "Frohes Fest!" Die Methode des ehemaligen Organisators des Donaufestivals Krems: "Eine vielperspektivische Herangehensweise."

Sein Ziel: "Kunst als Tool einer Selbstermächtigung" und "möglichst viele Menschen geistig zu verorten"(???, Anm. der Redaktion).

Die Themen: Migranten, "Kunst als aktivistische Strategie", Flucht, Diaspora, Menschen am Rand der Gesellschaft, Space Opera, Traiskirchen als Musical ...

Pop und Performance

Abgesehen von Peter Brook und Romeo Castellucci gibt es heuer noch weniger klassisches Theater als bisher, aber dafür Workshops, Lectures, Popkultur und Performances, Performances, Performances.

Neu ist als "utopisches Denkmodell" das Diskursformat "Akademie des Verlernens" mit Vorträgen und Aktionen, wo starre Sichtweisen auf die Gesellschaft verlernt werden können.

Außerdem verknäueln sich neue Theaterformen, Tanz und Medienkunst im "Performeum" auf einem ÖBB-Gelände in Wien-Favoriten: Zierhofer-Kin definiert es als "temporäres Performance-Museum", in dem man sich "an Wochenenden vom späten Nachmittag bis in den frühen Morgen aufhalten kann".

Ob Ausstellung oder Videopräsentation, theatrale Spielarten oder Kunsthappening – hier ist Platz für vieles. Etwa die Schau "The Conundrum of Imagination", kuratiert von Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und Pauline Doutreluingne. Sie wird auch ins Leopold Museum ziehen (ab 18. 5.).

Clubkultur

Andererseits ist das Thema von Ben Pryors "House of Realness" die "queere ekstatische Praxis als Widerstand" (ab 18. 5.): "Hier wird mit lautstarker Sichtbarkeit gegen die Ohnmacht angesungen und die Realität einfach weggeglitzert und -getanzt."

Aber daneben gilt auch die Maxime: "Wir wollen in den Raum eindringen, in dem Menschen alltäglich leben", so Zierhofer-Kien. So bespielt man Einkaufszentren und Locations wie Franz und Gloria, Favoriten oder Schloss Neugebäude, wo mit "Hyperreality" ein kleines Subfestival für Clubkultur veranstaltet wird.

"Club als eine Theaterbühne, auf der Gesellschaft verhandelt wird."

Eine klare Absage gibt es vom Intendanten an die gute alte Tradition der Kooperation mit Konzerthaus bzw. Musikverein beim Musikfest: Das sei "nicht mehr das, was es in Wien braucht". Das werde es "in dieser Form nicht mehr geben".

Direkte Frage am Ende: Und das Publikum 40 und 50 plus will man nicht mehr ansprechen?

Antwort: "Doch. Es geht nicht darum, ein Publikum zu verändern, sondern zu erweitern."

Da hatte Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath- Pokorny, der Zierhofer-Kin für fünf Jahre bestellt hat, bereits erklärt: "Das Neue braucht Freunde."

40.000 Tickets suchen ab sofort Freunde. Nein: Käufer.

Neues von Meese, Brook und Van Hove

Das Musiktheater in weitesten Sinn ist mit drei Produktionen vertreten. So zeigen Jonathan Meese und Bernhard Lang im Theater an der Wien "Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz)" – eine Auseinandersetzung mit Richard Wagners "Parsifal". Mozart goes Popkultur heißt es dann im Museumsquartier bei "Les Robots ne conaissent pas le Blues oder Die Entführung aus dem Serail". Als Hip-Hop-Oper konzipiert ist "Ishvara" des chinesischen Künstlers Thianzuo Chen. Dazu gibt es noch "Traiskirchen. Das Musical" im Volkstheater.

Mit dem Krieg beschäftigt sich Regisseur Peter Brook in "Battlefield"; Regisseur Ivo van Hove widmet sich mit "Obsession" dem gleichnamigen Film von Luchino Visconti. Mit "Democracy in America" gastieren Kultregisseur Romeo Castellucci und seine Societas in Wien.

Das israelische Kollektiv Mammalian Diving Reflex ist mit den Performances "Haircuts by Children" und "All the Sex I’ ve Ever Had" vertreten, das australische Back to Back Theatre bringt mit Menschen mit Down-Syndrom "Lady Eats Apple". Um Flucht geht es in Bruno Beltráos "New Creation". "Die selbsternannte Aristokratie" nennt das Kollektiv La Fleur seine Performance zum Thema Migration.

Um Syrien und Gewalt geht es in "Während ich wartete" von Omar Abusaada und Mohammad Al Attar. Syrien ist auch das Thema von Santiago Sierra: Er lässt bei "The Names of those Killed in the Syrian Conflict, between 15th of March 2011 and 31st of December 2016" die Namen aller Opfer verlesen. Dafür setzt Jimmy Cauty in "The Aftermath Dislocation Principle" dem Widerstand jeder Art ein popkulturelles Denkmal. Und die Gruppe Saint Genet bringt mit "Promised Ends: The Slow Arrow of Sorrow and Madness" ein "assoziatives Theater der Grausamkeit" zu den Festwochen.

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