Wiener Festwochen 2019: „Es passiert hier und jetzt“
Nein, es war keine Pressekonferenz, sondern eine Inszenierung, die mit Klarheit bestach: Christophe Slagmuylder präsentierte im neu umgebauten Studio Molière sein erstes Programm für die Wiener Festwochen.
Dieses sei, meinte Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler in ihrem flapsig-fröhlichen Eingangsstatement, „schon fast eine Überforderung“. Denn es vermittelt ganz und gar nicht den Eindruck, aus der Not geboren oder in Windeseile zusammengeschustert zu sein, obwohl Slagmuylder tatsächlich nur ein halbes Jahr Zeit hatte: Am 19. Juni 2018, nach einem enttäuschenden Festival, stimmte Tomas Zierhofer-Kin der Auflösung seines Vertrags zu – drei Jahre vor Ablauf. Und bereits eine Woche später stellte Kaup-Hasler ihren Wunschkandidaten vor, eben den belgischen Festivalmacher.
Erster Entwurf
Wien sei, sagte Slagmuylder einleitend im von Adabeis überrannten Studio Molière, eine Überraschung gewesen – „für alle, auch für mich“. Und in einer fremden Sprache zu kuratieren, sei herausfordernd beziehungsweise – sehr vornehm ausgedrückt – „inspirierend“ gewesen. Sein Programm bezeichnete er als „ersten Entwurf von dem, wofür ich stehe“. Er stapelte aber tief. Denn ihm gelang sehr wohl eine spannende Mischung aus aufstrebenden jungen Künstlern und großen Namen, die man mit den Festwochen verbindet.
Um es gleich vorwegzunehmen: Wie schon unter seinem Vorgänger Zierhofer-Kin wird es keine klassischen Opernproduktionen geben – und es gibt auch keine Kunstausstellung. Aber Slagmuylder, der sich nur zu Beginn seines Vortrags redlich auf Deutsch abmühte, hat zehn Uraufführungen eingekauft, darunter „3 Episodes of Life“ von Markus Öhrn, der letztes Jahr mit „Häusliche Gewalt“ schwer beeindruckte, und „Hass-Triptychon“ von Sibylle Berg, inszeniert von Ersan Mondtag. Der neue Intendant kündigte zudem Arbeiten von Robert Wilson, Romeo Castellucci und Anne Teresa De Keersmaeker an.
Viel Wert legt der neue Intendant auf Genre-Überschreitungen, wie sie etwa der Ungar Bela Tarr in „Missing People“, einer Mischung aus Film und Installation mit Livemusik, bietet. Musik spiele grundsätzlich eine wichtige Rolle: Slagmuylder erwähnte Christian Fennesz, der sein neues Album „Agora“ im Volkstheater vorstellt, er verwies auf „alternative Formen von Oper“, darunter „Narziss und Echo“ von David Marton. Besonders ans Herz legt er „Suite n.3 – Europe“ der französischen Gruppe Enycyclopédie de la parole, die eine Art Liederabend in allen Sprachen, die in der EU gesprochen werden, zeigen. Material für dieses „heutige Porträt des europäischen Kontinents“ bieten Jobinterviews, Schimpftiraden und Verschwörungstheorien.
Pulsierender Ort
Auch wenn die Festwochen „nicht thematisch“ konzipiert worden seien und sich nicht mit einem konkreten Thema beschäftigen würden, ist Slagmuylder die politische Dimension generell wichtig. Er sieht das Festival als Gegenspieler zum grassierenden Populismus: „Um der Kurzsichtigkeit entgegenzuwirken, behaupten die Festwochen, dass es sich lohnt, die Fenster zu öffnen, die Welt zu sehen. Ihre Vision von Wien ist nicht die einer abgeschotteten Stadt, sondern die eines pulsierenden Ortes“. Seinen einleitenden Text im durchaus verständlich formulierten Programmbuch beginnt er mit: „Es passiert hier und jetzt.“
Daher startet das Festival (nach der Eröffnungsshow am 10. Mai auf dem Rathausplatz) heuer in der Donaustadt, also im Bezirk mit dem höchsten Bevölkerungswachstum und dem niedrigen Durchschnittsalter. In der Eishalle wird u.a. die fünfeinhalbstündige Novela „Diamante“ des Argentiniers Mariano Pensotti präsentiert.
Insgesamt bieten die Festwochen bis 16. Juni 45 Produktionen von 430 Künstlern aus 19 Ländern. An 27 Spielorten in elf Bezirken gibt es 281 Vorstellungen, aufgelegt werden 45.000 Karten – um etwa 10.000 mehr als im letzten Jahr! Kaup-Hasler fasste es in einem Satz zusammen: Sie sei „overwhelmed“.
Das Programm 2019: Highlights
Die Festwochen beginnen heuer inoffiziell bereits am 9. Mai: Einen Tag vor der Eröffnung auf dem Rathausplatz wird der US-Historiker Timothy Snyder am Judenplatz „Eine Rede an Europa“ halten.
Die Schiene „Into the city“ gibt es zwar nicht mehr, aber die Festwochen gehen in die Stadt – in die Donaustadt: Am 11. Mai findet in der Erste Bank Arena und im Alfred-Klinkan-Hof dichtes Programm statt. Im Mittelpunkt steht „Diamante“ von Mariano Pensotti – ein „meisterhafter Theatermarathon über eine Siedlung im Dschungel Argentiniens“.
Insgesamt gibt es heuer 45 Produktionen – u.a. von Performance-Künstlerin Angelica Liddell („The Scarlet Letter“), Krystian Lupa (der Pole zeigt einen über fünfstündigen „Proces“ nach Franz Kafka) und Milo Rau („Orest in Mossul“). Romeo Castellucci zeigt seine neue Arbeit „La vita nuova“ sowie seine Arbeit „Le Metope del Partenone“. Ersan Mondtag bringt in Koproduktion mit dem Gorki-Theater Sibylle Bergs „Hass-Triptychon“ zur Uraufführung, Rene Pollesch in Koproduktion mit dem Burgtheater „Deponie Highfield“. Der Schwede Markus Öhrn untersucht in „3 Episodes of Life“ Missbrauchsfälle im beruflichen Umfeld.
Gleich nach der Premiere in Paris kommt „Mary Said What She Said“ von Robert Wilson und Isabelle Huppert nach Wien. Der thailändische Filmemacher Apichatpong Weerasethakul zeigt mit „Fever Room“ sein erstes Bühnen-Projekt. Musik und Tanz verbindet sich etwa bei Anne Teresa De Keersmaekers Verarbeitung von Bachs Brandenburgischen Konzerten, François Chaignauds und Marie-Pierre Brébants Interpretation der Melodien von Hildegard von Bingen und Marcelo Evelins „physischem Kontrapunkt zu Schubert“.
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