Wien Museum: Stadtgeschichte als Fleischbeschau

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Schnitzel, Vegetarier, FPÖ: Eine aktuelle Ausstellung erklärt, warum Fleisch (auch) ins Museum gehört.

Sensible Gemüter werden gewarnt. Vor Gewalt, vor expliziten sexuellen Darstellungen, vor Bildern von Selbstverletzungen. Triggerwarnungen vor Kunstobjekten sind gar nicht so selten. Jetzt hat auch das Wien Museum eine Ausstellung, vor der gewarnt wird: Darstellungen vom Fleisch könnten Vegetarier verstören.

Noch dazu lässt sich in der Ausstellung „Fleisch“ nicht einmal behaupten, für die Bilder, die hier zu sehen sind, seien keine Tiere zu Schaden gekommen. Alte Ansichten von St. Marx, einst der größte Schlachthof Wiens, zeigen an Haken baumelnde Rinderhälften und damit eine Fleischbeschau, die durchaus auf den Magen schlagen kann.

Wurst in Gumpendorf

Im Wien Museum beschäftigt sich ein Chronist der Stadt mit dem Alltagsthema Fleisch und das ist nur auf den ersten Blick ungewöhnlich. Auch wenn die Zahl der städtischen Fleischerbetriebe in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich zurückgegangen ist: Wer Wien kennt, weiß auch um seine Fleischgeschichte, denn er ist vielleicht schon einmal an der mit prallen Würsten behangenen Auslage des legendären Fleischhauers Ringl in Gumpendorf vorbeispaziert oder vor der Ampel bei der Friedensbrücke neben der Pferdefleischerei gestanden und hat versucht, sich eine der berühmten Leberkäsesemmeln zu holen. Heute mag der „Pferdeleberkäse“ manche schockieren, vor hundert Jahren aber war Wien eine Stadt der Rossfleischer. Auch der Biberverzehr war nicht ungewöhnlich und man muss keineswegs die oft erzählte Geschichte des Wiener Würstelstands bemühen, um zu wissen: Fleisch ist Stadtgeschichte und Kulturgut. Auch für Vegetarier übrigens.

Die ersten Sojabohnen

Im Schatten von Schlachthöfen und Wurstfabriken entwickelte sich Wien schon Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Hochburg des Vegetarismus und bereits 1870 gab es ein vegetarisches Restaurant in Wien. Auch Europas erste Anbauversuche von Sojabohnen fanden damals in Wien statt.

All das erzählen die Kuratoren Sarah Kastner und Jakob Lehne in dieser Schau, in der sie Wiens Fleischgeschichte ebenso praktisch wie wissenschaftlich begegnen. In sieben Stationen wird der Weg von Stall und Weide über Schlachthof und Wurstfabrik bis auf den Teller und in den Mund nachgezeichnet. Verschwundene Berufe und vergessene Gerichte werden thematisiert; alte Werbeplakate und Schaufenster, die die Stadt prägten, werden ebenso wie Bilder von Demonstrationen gegen Vollspaltböden oder Transparente mit Forderungen für Haltungskennzeichnung für Fleisch gezeigt. Auch Bratenwender und Wurstmischer sind unter den Ausstellungsobjekten.

„Fleisch“ zeigt, wie vielschichtig Wiens Fleischgeschichte ist. Einerseits ist da das Wiener Schnitzel, andererseits die traditionelle Wiener Küche, die häufig fleischlos ist. Dass hier so viele „Mehlspeisen“ gegessen werden, hat nicht nur mit der Lust auf Süßes, sondern vor allem mit Leistbarkeit von Fleisch zu tun, das einmal Inbegriff des Luxusprodukts war. In der Nachkriegszeit brach der große Fleischhunger aus. Fleisch wurde erschwinglich für alle, auch durch Massentierhaltung. Und zunehmend ideologisch aufgeladen. Zitiert wird hier folgerichtig auch FPÖ-Politiker Udo Landbauer mit einem Plädoyer fürs Schnitzel – das keinesfalls ein Fall fürs Museum werden dürfe.