Wiederentdeckt: Der Engel mit der Posaune

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Ernst Lothars Roman war zuletzt in Italien ein Bestseller.

"Der Engel mit der Posaune" ist der Roman eines Hauses. Das Haus ist Österreich, von Kronprinz Rudolf über Schnitzler, Freud, Schuschnigg bis zu Hitler.

Das Haus ist auch Seilerstätte 10 in der Wiener Innenstadt. In der sogenannten Wirklichkeit steht es nicht wie im Roman Ecke Annagasse, und es hat dort keinen Barockengel mit der langen Posaune am Haustor gegeben.

Hätte aber sein können.

Und dass dort einst Öllichter die Heiligenbilder beleuchteten, dass Plüschmöbel die Wohnungen füllten und ein Gemälde mit Mädchen, Kirschen zwischen den Lippen haltend, an der Wand hing – das war bestimmt so.

Es wohnten wohl auch – neben "Buchhaltern der österreichischen Tradition" – Menschen im Haus, die sich einbildeten, ein Recht auf Freude zu besitzen.

Auch gefährlich

Ernst Lothar schrieb den Roman über die (erfundene) Klavierfabrikantenfamilie Alt, während er – als Jude auf der Flucht – im kalifornischen Exil festsaß.

Vor dem Krieg war Lothar gemeinsam mit Max Reinhardt Direktor des Theaters in der Josefstadt, und bei Burgtheater-Produktionen führte er Regie.

Mit "Der Engel mit der Posaune" (1944) wollte er zeigen, was Österreich ist. Er wollte den Amerikanern zeigen, dass Johann Strauß’ Tänze der Leichtigkeit schön klingen, aber falsch sind.

Er musste es auch den "späteren" Österreichern zeigen: "Wir" waren (sind) zwiespältig, auch gefährlich, himmlisch und höllisch.

Der brave, fade Franz Alt heiratet die junge Henriette, die ein G’spusi mit dem spannenderen Kronprinz Rudolf hat(te). Damit fängt alles an.

In der Verfilmung 1948 spielten Paula Wessely und Attila Hörbiger. Am Ende, 50 Jahre später, stürzt sich die Wessely angesichts der Gestapo aus dem Fenster. Das tat ihr gut nach der Rolle im Machwerk "Heimkehr".

Im Roman, der viel weniger pathetisch ist, wird sie von Nazis erwürgt.

Barbarei!

Es spielten auch Paul Hörbiger (anständig) und Hans Holt (lieb) und Oskar Werner (böse) ... Ein Publikumserfolg. Aber ermüdend.

Der Zsolnay Verlag hat den Schatz, zuletzt 1963 veröffentlicht, wiederentdeckt. Anstoß war: In Italien war der "Engel" unter dem Titel "La Melodia di Vienna" 2013 ein Bestseller; und 2015 lobte die amerikanische Presse "The Vienna Melody".

Den Film kann man vergessen. Aber der Roman, der wurde im Laufe der Jahre immer besser!

Lothars Erinnerungen "Wunder des Überlebens" (1961) sind längst vergriffen, auch deshalb soll hier rasch nacherzählt werden:

Am ersten Tag nach seiner Rückkehr sagte der alte Hausdiener im Bristol zu ihm: "Net amal den Heinrichshof, wo der Herr von Slezak g’wohnt hat, ham s’ stehen lassen, die Amerikaner – dös Bombenschmeiß’n war do nix wia a Barbarei!"

Ernst Lothar notierte: "Ich hätte sagen sollen: Es war die Konsequenz der Barbarei! Doch ich sagte dem Herrn Steindl gute Nacht."

Ernst Lothar:
„Der Engel mit der Posaune
Mit einem
Nachwort von Eva Menasse.
Zsolnay Verlag.
544 Seiten.
26,80 Euro.

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