Wie soll man in den Linzer Wohntürmen Flügel bekommen?

„Atemnot“ war jahrelang vergriffen: Eugenie Kain (1960 – 2010) schrieb für die Benach- teiligten
"Atemnot": Erinnerung an eine engagierte Schriftstellerin, die man hätte rechtzeitig fest umarmen sollen.

Es gibt fürwahr viele Stellen in " Atemnot", bei denen man länger bleiben könnte.

Von Standrand = Randland ist die Rede. Und: Ob man sich fremd wird beim Schreiben, beim Lesen?

Aber es ist ein einfacher Satz, von dem man nicht weg kommt – unangenehm oft gehört als Mahnung an manche Mitmenschen (was aber eh nichts hilft): "Bleib’ auf dem Boden!"

Hier steht es resignierend: Man wird in die Welt gesetzt, damit man sie aus den Angeln hebt; und dann pickt man leider auf dem Boden fest.

Wie auch hätte Desiree Flügel bekommen sollen – als Kind missbraucht, als Mädchen in der Kategorie "schwierig" abgelegt, irgendwo an der Peripherie von Linz, in den Hochhaustürmen, von denen die Natur verdrängt wurde: für acht Quadratmeter Balkon mit Paprikapflanzerln bestenfalls ...?

Desiree springt aus dem 20. Stock.

Vielleicht hätten sich die Leute in ihrer Umgebung weniger damit beschäftigen sollen, ob man Kümmel in Semmelknödel mischen soll oder nicht.

Von den Bemühungen einer Schriftstellerin, Desirees Geschichte aufzuschreiben, um ihr (endlich) Stimme und Erinnerung zu geben, handelt "Atemnot": ein Roman? eine Erzählung? Das ist völlig nebensächlich.

Bruchstückartig wird erzählt, einiges bleibt im Dunkeln, die Seelen der Menschen in den Betonquadern aber sind dadurch besser zu sehen.

Wassertropfen

Die gebürtige Linzerin Eugenie Kain stand immer auf der Seite der Ausgestoßenen. Sie wäre weit geflogen, sie wäre groß geworden. Aber 2010 starb sie, 49 Jahre alt.

Ihre "Flüsterlieder" hatten den Rezensenten – was es nicht geben darf – vor acht Jahren sprachlos gemacht. Sprachlos und traurig.

"Flüsterlieder", ebenfalls über den Salzburger Otto Müller Verlag erhältlich, war der Gesang der Wassertropfen in einer Höhle, die ein Mann und eine Frau erforscht hatten. Einst.

"Flüsterlieder" war das Rascheln der Weinreben im Wind und das Summen einer Eisfläche.

Wie soll man in den Linzer Wohntürmen Flügel bekommen?
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Das ist es, was von einem Leben und einer Liebe geblieben ist.

Denn der Mann starb unerwartet im Spital. Im Kamm hängen noch seine Haare. Die Gitarre hat er nicht mehr zurückgestellt.

Das gemeinsame Kind schläft noch und weiß nichts vom Tod.

"Flüsterlieder" sind das Gefühl dieser einen Nacht.

Im KURIER stand 2006: Man müsste Eugenie Kain für dieses Buch umarmen.

Warum hat man das nicht gemacht?

KURIER-Wertung:

INFO: Eugenie Kain: „AtemnotOtto Müller Verlag. 124 Seiten. 17 Euro.

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