Warum sind Dichter hässlich?

Warum sind Dichter hässlich?
Heuer erscheinen die Tagebücher der Brüder Edmond und Jules de Goncourt vollständig.

Es waren einmal zwei Brüder, die waren so kunstbeflissen (aber auch so lieblos – außer zu sich selbst, in sich selbst waren sie sehr verliebt): Wenn sie junge Frauen sahen, dann stellte der eine Bruder fest: Die haben die kleinen Brüste eines Cranach.
Und der andere: Wer ihre verklärten Blicke gesehen hat, der hat alle Jungfrauen der deutschen Maler des säten Mittelalters besessen.
Man erkennt daraus, die unzertrennlichen Edmond und Jules de Goncourt lebten für die Kunst.
Nicht allerdings für die Musik: Dass im Nebenhaus in der Rue Saint-Georges der Musiker Adolphe Sax wohnte, der das Saxofon entwickelte, machte sie rasend.
Für das bisschen Sex, das sie zwischen Literatur und Malerei brauchten, gingen sie zu Prostituierten oder hatten – und zwar gemeinsam – Maria, die schöne, dicke, lachende Hebamme.

Das weiß man so genau, weil die Goncourts täglich Tagebuch führten, beginnend 1851 bis 1896. Ihre Beichte, wie sie es nannten. Schonungslos allen gegenüber.

Zurücklehnen

Die zwei waren sozusagen (auch) Tratschweiber, und wenn einer ihrer Bekannten Morphium nahm, na, dann notierten sie es. Und sie kannten viele: Flaubert, Verdi, Victor Hugo, de Maupassant, Jules Verne, Zola, Manet, Dumas Vater und Sohn, Turgenjew, Oscar Wilde ...
Das Tagebuch ist Roman des 19. Jahrhunderts. Böse, witzig, unbestechlich bis in die kleinste Kleinigkeit. Suezkanal-Eröffnung und Magenkrämpfe, Preußisch-Französischer Krieg und Auster.
„Es geht darum, es sich gut gehen zu lassen. Zum Rauchen muss man den Rücken anlehnen, das ist wichtig.“

Wahnsinnstat

Im November wird das „Journal“ erstmals vollständig auf Deutsch erscheinen, im Verlag Zweitausendeins. Das sind elf Bände bzw. 7056 Seiten. Acht Jahre Arbeit für drei Übersetzerinnen. Die zweite Wahnsinnstat des Verlegers Gerd Haffmans. Die Tagebücher des Londoner Politikers Samuel Pepys aus den Jahren 1660–1669 haben sich als Erfolg erwiesen.

Auch wegen der teilweisen Vorfinanzierung: Wer bis August bestellt, zahlt rund 175 und nicht 250 Euro und sein Name wird in einem eigenen Band, dem zwölften, veröffentlicht.

Edmond de Goncourt, der seinen Bruder überlebte, gründete die Académie, die alljährlich den bedeutendsten französischen Literaturpreis vergibt. Wobei er den späteren Gewinnern etwas zum Nachdenken mitgab: „Alle Dichter, die ich gesehen habe, sind so hässlich, dass mir die Dichtkunst wie eine Reaktion auf die persönliche Hässlichkeit vorkommt.“

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