War das Totenköpfchen da Vincis Handschmeichler?

War das Totenköpfchen da Vincis Handschmeichler?
Ein Köpfchen aus Kunststein stammt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom italienischen Universalgelehrten Leonardo da Vinci.

Eine kuriose Geschichte, die letztlich eine Sensation ist: Vor mehr als 25 Jahren erstand eine Dolmetscherin für ihren Mann, einen Arzt, in einem Antiquitätenladen in Saarbrücken um 600 D-Mark – als Weihnachtsgeschenk – einen kleinen Totenkopf. Ohne zu wissen, was das Artefakt, dem der Unterkiefer fehlt, für ein Schatz ist. Und weit mehr noch als ein morbides Schmuckstück.

Spurensuche

Denn Untersuchungen ergaben, dass der Miniaturschädel mit der detailgetreu nachgebildeten grazilen Nasenscheidewand, der Darstellung der äußeren und inneren Gehörgänge oder dem ovalen Loch in der Felsenbeinpyramide des Schläfenbeins aus der Nähe von Florenz stammt und zur Zeit der Renaissance hergestellt worden war.

Untersuchungen des Schädelspezialisten Roger Saban aus Paris lieferten 1996 erste Hinweise auf Leonardo da Vinci (1452– 1519). Der Anatom erkannte eine Verbindung mit der anatomischen Zeichnung Leonardos, die sich im Besitz der königlichen Sammlung auf Windsor Castle befindet. Sie zeigt einen ähnlich verformten Schädel, dem der Unterkiefer fehlt.

Anatomiestudien

War das Totenköpfchen da Vincis Handschmeichler?
Da Vinci
Bei der Miniatur handelt es sich um eine originalgetreue Nachbildung eines natürlichen Schädels, die vermutlich anatomischen Studien diente. Wobei das Köpfchen auch Stellen aufweist, die künstlerisch gestaltet sind.

Vermutlich begann alles bereits 1489, als da Vinci in den Besitz eines menschlichen Schädels gelangte. Er öffnete ihn und fertigte – in einer Zeit, als Anatomie und Kunst noch keine eigenen Wissenschaften waren – eine Reihe von Zeichnungen an.

Doch der Schädel ließ ihn angeblich enttäuscht zurück: Er lieferte ihm keine Informationen über den menschlichen Geist und sein Verhältnis zum Körper.

Viele Indizien

Dass der auf etwa 1508 datierte Mini-Schädel (zuletzt im Vorjahr Prunkstück der Ausstellung "Faszination Schädel – der Kult um den Kopf" in der Kunsthalle Leoben) echt ist, sei so gut wie erwiesen, sagt der Leonardo-Forscher und Globensammler Stefaan Missinne.

"Es gab zehn Indizien dafür, sodass man jetzt sicher ist: Dieses äußerst genaue und detailreiche anatomische Modell eines Schädels hat tatsächlich Leonardo angefertigt."

Was spricht konkret dafür, dass das Universalgenie – Künstler, Ingenieur, Entdecker, Kosmograph und Forscher – wirklich Schöpfer dieses Kleinods ist?

"Leonardo ist der Einzige, der in seinen Aufzeichnungen (den sogenannten Codices) eine idente Zeichnung dieses anatomischen Modells vorab angefertigt hat", so Missinne in der Wiener Medizinische Wochenschrift. Dies belegen auch Quellen aus der Royal Collection Windsor und des Max-Planck-Institutes.

Materialprüfung

Ein weiteres Indiz für die Zuschreibung: Der Schädel ist aus einer von da Vinci zwischen 1503 und 1509 entwickelten formbaren Masse – "Mistioni" – hergestellt, einer Mischung aus Gips und Quarz im Verhältnis 3:1 sowie einem Zusatz von Eisenpulver und dem Bindemittel Harz. Leonardo schreibt selbst u. a. im Codex Atlanticus darüber: "Mit meiner Mischung mach ich dir alles, Marmor, Edelsteine, Halbedelsteine."

Und nur von ihm ist bekannt, dass er mit diesem Material experimentiert hat. Die vergleichende chemische Analyse ergab, dass das Material mit dem "Achat Alabaster" aus einer Grube in der Nähe von Volterra in Italien übereinstimmt, gerade einmal 50 Kilometer von Florenz, dem Wirkungsort da Vincis, entfernt.

Die Farben der "künstlichen" Materialien erzeugte er mit Farbpigmenten, die er der Masse "Mistioni" beifügte. Wobei die Masse nicht gegossen, sondern in weichem Zustand modelliert wurde. Nach dem Aushärten konnten in die Masse feine Linien und Details eingeritzt werden.

Proportionen stimmen

Für da Vinci als Urheber spricht schließlich auch die maßstabsgetreue Nachbildung des Modells, das dem menschlichen Schädel in einem Verhältnis 1:3 nachempfunden ist.

Wie es vielen anderen Arbeiten des Florentiner Genies entspricht – etwa in den bekannten Darstellungen des "Vitruvianischen Menschen", einem Proportionsschema für den menschlichen Körper.

Entdeckt wurden kürzlich auch zusätzliche Beweise: Aufzeichnungen von Leonardos Schüler und Assistenten Salai, die belegen, dass dieser im Besitz eines solchen anatomischen Modells war.

"Wir können also von einem Echtheitswert von 99,9 Prozent ausgehen", so Missinne. "Das ist wie ein Sechser im Lotto."

Der Forscher glaubt, dass der alternde, als melancholisch bekannte Künstler, die 4,7462 Zentimeter große Schädelnachbildung als seinen persönlichen "Handschmeichler" verwendet hat.

Kommentare