Wann sind wir Raupe?

Eva Menasse
Tiere für Fortgeschrittene: Acht Erzählungen Eva Menasse, inspiriert durch kuriose Nachrichten.

Zum Beispiel die Haie.

Den KURIER-Bericht hat sich Eva Menasse ausgeschnitten: 2001 brannte es vor dem Haus des Meeres in Wien, giftige Dämpfe gelangten über die Entlüftungsanlage ins Becken, vier Haie erstickten.

Die Meldung ist der Erzählung vorangestellt; und dann beginnt es so:

"Gibt es solche Zufälle? Damals, als die Probleme in Claras Klasse anfingen, diskutierte man gerade überall, ob die Nationalität von Kriminellen verschwiegen werden sollte oder nicht."

Und da ist ein Zusammenhang? Wird ein Bub mit Migrationshintergrund in der Schule gemobbt, dann schon. Die Stimmung ist giftig, denn der Mensch ist dem Menschen Hai, und in der Traumdeutung wird des "Meeres Hyäne" (Schiller) mit emotionalem Stress in Verbindung gebracht – den man bekommt, wenn man nicht einverstanden ist, dass der kleine Frederic die Schule wechselt, weil er der dummen Lehrerin einen Kuli nachgeworfen hat.

Verhungert

So geht das acht Mal. Zuerst eine auffällige tierische Nachricht, danach die Erzählung. Schlange, Schafe, Ente, Raupe, Opossum, Igel ...

In achtlos weggeworfenen Eisbechern von McDonald’s haben sich Igel verfangen. Sie schleckten das Zeug aus, bekamen den Kopf nicht mehr heraus, verhungerten. Die Firma gestaltete daraufhin die McFlurry-Becher neu.

Aus der Agenturmeldung (2006) wurde die Geschichte eines Paradiesvogels – einer Frau, die alles hat und in deren Leben die Rettung eines Igels das einzig Bleibende ist.

Aufgefädelt

Wo sind die Tiere, wenn es menschelt? Welche Muster sind wiederzuerkennen?

Das ist das Spiel in "Tiere für Fortgeschrittene", das man nicht mitspielen muss. Es unterhält zusätzlich. Es lenkt aber auch etwas ab. Ein roter Faden ist’s, auf den die in Berlin lebende Wienerin Eva Menasse ("Quasikristalle") ihre Forschungsobjekte gehängt hat.

In "Lässliche Todsünden" hat sie es vor sieben Jahren ganz ähnlich gemacht, damals schaute sie sich "uns" an und die sieben Todsünden.

Eine Supermarkt-Verkäuferin oder ein Trafikant, der knapp vor dem Zusperren ist, oder ein beschäftigungsloser Schlafwagenschaffner wären auch einmal fein, in ihrem Umfeld beobachtet zu werden. Aber das spielt es selten. Bei Eva Menasse sind es Menschen, die Champagner trinken und auf die Jagd gehen, einer kauft "einen teuren Bambustisch mit Holzverzierungen", ein anderer sitzt auf einem "lederbezogenen Direktorensessel".

Katzenfreunde werden die Seite 134 nicht so gern lesen. Dort steht: Die meisten Katzen sind Charakterschweine. Ist aber logisch. Sie haben oft mit Menschen zu tun.

Eva Menasse:
„Tiere für Fortgeschrittene“
Kiepenheuer & Witsch Verlag.
320 Seiten.
20,60 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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