Dokumente der Armut in Amerika

Eines der grandios undramatischen Porträts von Walker Evans: Girl in French Quarter, New Orleans, 1935
"Walker Evans. Ein Lebenswerk" (bis 9. 11.) im Martin-Gropius-Bau in Berlin.

Ein kühler und distanzierter Beobachter, der Fotografiegeschichte geschrieben hat: Mit Aufnahmen der Not und des Elends in den Südstaaten zur Zeit der Großen Depression wurde er in den 1930er-Jahren als Dokumentarist der Armut in Amerika schlagartig berühmt.

Walker Evans (1903– 1975) war durch sein besonderes Gespür für das Alltägliche und Subtile einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts.

Der Martin-Gropius-Bau in Berlin zeigt nun eine Werkschau des Amerikaners, der viele Fotokünstler wie Diane Arbus und Stephen Shore beeinflusst hat.

Ausgestellt sind mehr als 200 Originalfotos der Jahre 1928 bis 1974, darunter bisher selten gezeigte, etwa die Porträts der Farmerfamilien, die Innenansichten ihrer Hütten, die Bilder der Holzkirchen und der kleinen Läden in den Dörfern sowie der Geschäftszeilen in den Kleinstädten. Wie unter einem Brennglas ist die ganze Epoche der Depressionszeit in den Schwarz-Weiß-Aufnahmen gebündelt.

Unsentimental

Walker Evans hat die Geschichte des bürgerlichen und kleinbürgerlichen Amerika als Bildgeschichte erzählt. Neben den grandios undramatischen Porträts, Schwarzer wie Weißer, einsamer Architekturen, brachliegender Fabriken und malträtierter Landschaften der Südstaaten und des Mittleren Westens der USA, sind Aufnahmen von Werkzeugen und afrikanischen Masken ebenso zu sehen wie Gladiolen, die ihre Blüten mit erotischem Flair recken. Als hätte Robert Mapplethorpe auf den Auslöser gedrückt.

Außerdem sind sechs U-Bahn-Porträts ausgestellt. Denn Evans fotografierte aus Protest gegen die glatten, sterilen Studioporträts, modischen Posen oder politisch motivierten Inszenierungen die New Yorker in der U-Bahn, heimlich, ohne durch den Sucher zu schauen, also auf gut Glück.

Robert Frank bezeichnete Walker Evans’ kristallklare Fotografien, die aus dem Alltag die Essenz des Daseins filtern, als "Juwelen".

Und als Evans um 1970 Frank – quasi seinen fotografischen Erben – vor dessen Holzhaus in Nova Scotia porträtiert, sieht das Bild kaum anders aus als die Fotos der Farmer vor ihren Hütten, 35 Jahre vorher fotografiert.

www.gropiusbau.de

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