Volkstheater-Chef Gloger: "Auch Lachen kann Gegenwart verändern"

Heute, Montag, präsentiert Jan Philipp Gloger seinen Spielplan. Der KURIER traf den Regisseur, 1981 in Hagen geboren zum Interview. Zuletzt war er Schauspieldirektor am Staatstheater Nürnberg. Die Wiener Theaterlandschaft kennt der künftige Volkstheaterdirektor gut: Er inszenierte höchst erfolgreich am Burgtheater und in der Volksoper.

KURIER: Der neue Finanzminister hat einen Kassasturz gemacht – und ein riesiges Defizit festgestellt. Wie ist das am Volkstheater? Müssen Sie Altlasten von der Direktion Kay Voges übernehmen, die sich schon am 16. Mai mit einem Fest verabschiedet?
Jan Philipp Gloger: Es gibt keine Altlasten, die mein künstlerisches Budget belasten würden. Ich bekomme ungefähr das, was mir versprochen wurde. Das Volkstheater ist ein mittelfinanziertes Haus, und ich versuche, in diesem Rahmen mein Bestes zu geben.
In der Spielzeit 2005/‘06 hatte das Volkstheater 13.366 Abonnenten. Unter Direktor Schottenberg setzte ein Sinkflug ein, der unter Nachfolgerin Anna Badora in einen Sturzflug mündete. Kay Voges musste nach seinem ersten Jahr eingestehen, dass es nur mehr 250 Abonnenten gab. Und jetzt?
Gibt es knapp über 1.000 Abonnenten. Natürlich ist es mein Ziel, diese Zahl zu erhöhen. Abos passen zum Repertoirebetrieb. Es ist toll, wenn Menschen dem Theater einen Vertrauensvorschuss geben – wer uns die Chance gibt, dass wir ihm gleich mehrere Vorstellungen zeigen können, den können wir ganz anders abholen und woanders mit hinnehmen. Wir versuchen daher, den Abonnentinnen und Abonnenten Besonderes zu bieten.
Was ist Ihr Ziel? 10.000?
Ich komme aus Nürnberg, einem Abo-starken Haus; 10.000 sind trotzdem eine absolute Utopie. Ich muss es ja zunächst schaffen, dass die 1.000 Abonnentinnen und Abonnenten bleiben – und sich von unserem Programm begeistern lassen. Ein Direktionswechsel ist immer ein Kündigungsgrund. Das wäre furchtbar schade. Denn wir werden grandioses Theater machen.
Ein Direktionswechsel bedeutet auch ein neues Logo. Das Volkstheater war lange Zeit das VT, dann, unter Voges, das VoT. Und Sie schreiben das Wort aus: Rund um die Buchstaben VOLKS gruppieren sich die Buchstaben des Worts Theater ...
Ich wollte keine Abkürzung. In diesem Logo wird „Volk“ und „Theater“ miteinander in Verbindung gebracht: Das Theater mischt sich unter das Volk und umkreist es. Und das korrespondiert mit dem, was wir vorhaben: Wir wollen in die Stadt gehen, auf die Stadt zugehen, und gleichzeitig das Potenzial von Theater nutzen, möglichst unterschiedliche Menschen zusammenzubringen. Die Gesellschaft ist einer Zerreißprobe ausgesetzt, aber das Theater kann Gemeinschaft stiften – und hat auch damit eine gesellschaftspolitische Aufgabe.
Sie bekennen sich zum Wort Volkstheater?
Ja. Ich weiß nicht, ob wir weiterkommen, wenn wir jetzt lang und breit den Begriff „Volk“ diskutieren. Ich möchte ihn aber nicht den Rechten überlassen. Daher beginne ich am 12. September mit Jura Soyfer: Es geht darum, die Kräfte zu demaskieren vielleicht auch satirisch anzugreifen, die uns heute gesellschaftlich auseinanderbringen wollen.
Jura Soyfer starb 1939 im KZ Buchenwald. Sein 85. Todestag wäre eine Gelegenheit gewesen, sich seiner zu erinnern. Aber an den großen Bühnen Wiens ist seit vielen Jahren keines seiner bissigen Stücke zu sehen. Daher gleich einmal Gratulation!
Danke. Ja, viele Dramaturginnen und Dramaturgen kennen ihn gar nicht. Mir war es wichtig, ihn zu bringen: Unter dem Titel „Ich möchte zur Milchstraße wandern!“ vereine ich drei seiner Stücke. Und ja: Ich bin ein Direktor, der die eigene Eröffnung inszeniert. Nicht um sich vorzudrängeln, sondern weil ich glaube, dass die erste Premiere eine Visitenkarte ist und ein neues Ensemble zusammenbringen kann.

Tags darauf folgt die Uraufführung „Pseudorama“ in der Dunkelkammer – und am 14. September „Caché“. Lässt sich der Horror von Michael Haneke so einfach auf die Bühne übertragen?
Tobias Schuster, mein leitender Dramaturg, der schon bei Thomas Schweigen am Schauspielhaus sehr gute Arbeit geleistet hat, ist davon überzeugt – und hat das schon einmal bei den Salzburger Festspielen mit Hanekes „Liebe“ toll gemacht. Ich kann jetzt noch nicht verraten, was Regisseurin Felicitas Brucker konkret vorhat, finde die Ansätze aber sehr spannend. Es geht ja nicht darum, den Film nachzuspielen, sondern etwas Neues daraus zu machen. Und Haneke hat ja fantastische Dialoge geschrieben.
Weil Sie Felicitas Brucker erwähnen: Sie haben viele Regisseurinnen verpflichtet, darunter Martina Gredler, Johanna Wehner, Mechthild Harnischmacher, Milena Mönch – und Anna Marboe inszeniert im großen Haus eine Erstaufführung.
Danke, dass Sie das erwähnen.
Und Sie sind sich nicht zu schade, selbst für das Volkstheater in den Bezirken zu inszenieren. Das wäre Ihren Vorgängern nicht im Traum eingefallen.
Ich finde die Bezirke ein grandioses Instrument, wenn ich das Wort Volkstheater ernst nehme: Ich mische mich unters Volk, unter die Bevölkerung, unter alle Menschen, die in Wien leben, egal wo sie wohnen oder welche Herkunft sie haben. Wir wollen ein griffiges Theaterprogramm machen. Ich werde mit „State of The Union“ eine ausgewiesene Komödie inszenieren, mit hohem Selbsterkennungswert für alle Menschen in längeren Beziehungen.
Die Menschen in den Bezirken wollen erfahrungsgemäß keine Experimente, sie sehnen sich nach Schauspielertheater – und Publikumslieblingen. Doris Weiner war über Jahrzehnte das Herz des Volkstheaters in den Bezirken.
Daher werden auch echte Ensemblemitglieder auftreten. Die Schauspielerinnen und Schauspieler sind mir sowieso das Wichtigste. Sie müssen den Menschen zu Herzen gehen. Dafür braucht es Zeit, aber wenn man sich mal in ein Ensemble verliebt hat, geht man mit ihm mit – und öffnet sich auch Autorinnen und Autoren, die einem immer zu kryptisch und zu schwierig waren. Hinzu kommt noch etwas: Es gab bisher keine Theaterpädagogik. Wir holen daher mit Anja Sczilinski eine echte Outreach-Expertin ans Haus, die das schon im Burgtheater gemacht hat. Sie wird zum Beispiel einen Schreibworkshop anbieten und ein professionelles Schulnetzwerk aufbauen – auch mit dem Ziel, dass Schülerinnen und Schüler zu Abonnentinnen und Abonnenten heranwachsen.
Stichwort Ensemble: Sie haben sechs Schauspielerinnen und Schauspieler übernommen.
Ja, ein knappes Drittel bleibt: Claudia Sabitzer, Günther Wiederschinger, die schon lange am Volkstheater sind, Samouil Stoyanov, Anna Rieser, Stefan Suske und Nick Romeo Reimann. Elf von den 20 Schauspielerinnen und Schauspielern haben schon in Wien gelebt oder leben in Wien. Mir geht es darum: Ich bin ja noch neu in dieser Stadt – und möchte mit Leuten in Dialog sein, die diese Stadt länger und besser kennen.
Sie sind auch in der Josefstadt fündig geworden.
Sie meinen Paula Nocker. Und auch Johanna Wokalek ist hier gut bekannt – aufgrund ihrer vielen Jahre am Burgtheater. Ich bin sehr froh, dass ich ihre Sehnsucht nach Wien wieder entfachen konnte. Sie spielt gleich zu Beginn – zusammen mit Sebastian Rudolph in „Caché“. Ich glaube, das ist eine spannende, hochkarätige Besetzung für dieses Kammerspiel.
Es fällt auf, dass Sie im Spielplan viele Österreicher und Altösterreicher bringen: Arthur Schnitzler mit einer Dramatisierung der „Traumnovelle“, Christine Nöstlingers „Die total verjüngte Oma“ als Familienstück, Jan-Christoph Gockel macht „Ukrainomania“ nach Joseph Roth …
Das ist natürlich eine bewusste Setzung, aber keine Anbiederung. Denn schon vor Jahren, als noch niemand daran gedacht hat, dass ich einmal der Direktor des Volkstheaters werden könnte, war ich mit der österreichischen Literatur verbunden. Sie ist einfach ein Faible von mir, ich habe ja auch Köck, Jelinek, Handke, Schnitzler und Horváth inszeniert.
Und Rieke Süßkow inszeniert „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Ödön von Horváth. Sie hatte Peter Handkes „Zwiegespräch“ am Akademietheater grandios zur Uraufführung gebracht. Nun ist sie Hausregisseurin bei Ihnen. Wie ist Ihnen das geglückt?
Sie hat bei mir in Nürnberg „Übergewicht, unwichtig: Unform“ von Werner Schwab inszeniert. Ich bin ein Ohrenmensch, mich interessieren Sprache, Dialekte, Musik, Rhythmus. Das verbindet mich mit Rieke Süßkow. Hinzu kommt: Sie lebt seit vielen Jahren in Wien. Da kam eins zum anderen. Es ist wirklich ein Glücksfall.
Süßkow kombiniert Ödön von Horváth mit Johann Strauss …
„Geschichten aus dem Wiener Wald“ ist ein Walzer von ihm. Beim Walzer gibt es das kontrollierte Aus-dem-Takt-Geraten, aber auch das In-den-Takt-Zurückmüssen. Es geht daher auch um Disziplin und Exzess. Und das in Kombination mit der Zeit, in der das Stück von Horváth spielt, eben der Nationalsozialismus, der sich in Österreich ankündigt. Das ist ein spannendes Projekt mit fünf Live-Musikern. Großes Kino hoffentlich. Süßkow wird sich zudem unter dem Motto „Volksohr“ unters Volk mischen, lauschen – und daraus einen Theaterabend gestalten.
Weil Sie die Radikalkomödie von Schwab erwähnt haben: Im Programmbuch ist keine einzige Produktion angeführt, die Sie von Nürnberg mitbringen.
Wir haben notfalls was auf Lager. Aber ich halte es nicht für klug, Nürnberg nach Wien zu exportieren. Ich habe nur fünf Schauspielerinnen und Schauspieler mitgebracht. Einfach Stücke zu übernehmen und dann aufwändig neu zu besetzen, finde ich nicht so gut. Wir haben uns gesagt: Neues Team, neue Stücke. Ja, ich tu mir das an. Der Herbst wird äußerst herausfordernd. Denn wir müssen ein Repertoire aufbauen.
Zumal Sie von Ihrem Vorgänger nur vier Produktionen übernehmen.
Das Volkstheater ist ja nicht die Burg, wo man eine Produktion drei Jahre lang spielen kann.
Letzter Punkt: Sie loben den Jura-Soyfer-Preis aus …
Ich finde Komödie genauso viel wert wie Tragödie – und am besten, wenn beides kombiniert ist. Wir haben in der nächsten Spielzeit fünf, sechs Komödien oder Satiren. Tobias Schuster kam auf diese Idee: Können wir nicht, wenn wir schon diesen Schwerpunkt setzen, unter dem Namen Jura Soyfer ermutigen, sich mit der Komödie auseinanderzusetzen? Es gibt ja diese schreckliche Ernsthaftigkeitsdoktrin im deutschsprachigen Kulturraum, das Komödiantische hat ja für viele immer noch ein Geschmäckle. Also: Wie können wir Autorinnen und Autoren ermutigen, inhaltlich spannende Komödien zu schreiben, die auch eine gewisse Breitenwirksamkeit haben? Denn die Stücke müssen ja im großen Haus ausführbar sein. Man muss Leute animieren, die den dicken Pinsel beherrschen. Und wie kriegt man die? Nur mit einem relativ hohen Preisgeld! 30.000 Euro, das ist schon eine Motivation. Vorgaben gibt es keine: Die Autorinnen und Autoren sollen sich an der Gegenwart, an den Themen unserer Zeit abarbeiten – und man muss darüber lachen können. Ich bin überzeugt: Auch Lachen kann Gegenwart verändern.
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