Viren, Würmer und Auswüchse einer Plünderer-Gesellschaft

Mehrere Plünderer, nur auf den eigenen Vorteil bedacht, eine Boutique mit Stoffen, die zum Nachdenken anregen - und eine Tapete mit toten Fliegen
Schon seit Jahrzehnten beschäftigt sich Ines Doujak unter anderem mit den verheerenden Folgen des Kolonialismus wie des Kapitalismus – von der Ausbeutung der Ärmsten über das Leid der Tiere bis zur Zerstörung der Umwelt. Und sie hat eine raffinierte Methode der Kritik entwickelt: Sie verpackt die bitteren Wahrheiten gerne in Hochglanzästhetik, in knallige Farben, garniert mit doppelbödigem Witz.
Indes Doujak kann aber, von botanischen Büchern und medizinischen Atlanten mit Darstellungen diverser Krankheiten inspiriert, auch ganz anders: Ihr Pandämonium wird von missgebildeten Gestalten bevölkert, die in Horror- oder SF-Filmen reüssieren könnten. Dass sich die Multimedia-Künstlerin, 1959 in Klagenfurt geboren, daher auch mit Pandemien beschäftigt, liegt nahe. Und so ist die Personale in der Kunsthalle (bis 16. 1. am Standort Museumsquartier) alles andere denn coronafrei.

Ines Doujak in der Kunsthalle Wien: rechts vorne ein Plünderer, im Hintergrund die Geistervölker, die Ratte auf Rollen, die Würmer-Frau und der Viren-Vorhang
Muss man jedoch genau schauen und die großen Wellen des Vorhangs, der den Schlusspunkt bildet, auseinanderziehen. Erst dann entdeckt man, dass es sich doch nicht um ein abstraktes Muster handelt, sondern dass die roten „Flecken“ dem Virus (bzw. unserer Vorstellung davon) nachempfunden sind.
Auf den Leim gehen
Ines Doujak hat sie aus Nacktschnecken zusammengesetzt. Diese gehören für sie zu den „niederen Tieren“, die wir zertreten oder erschlagen, weil sie uns lästig sind, denen wir die Schuld für Krankheiten oder Seuchen geben. Der 140 Meter lange Vorhang korrespondiert daher mit einer gelben Tapete andernorts, übersät mit toten Fliegen, die den Menschen auf den Leim gegangen sind.
Obwohl die Retrospektive, um viele neue Arbeiten ergänzt, alles bietet, was Ines Doujak ausmacht, ist sie ein wenig enttäuschend. Weil das slowenische Kuratorinnenkollektiv WHW, das die Kunsthalle leitet, der Künstlerin für ihre mächtigen Installationen nur die kleine, niedrige Halle überließ.
Dass die Schau gleich im weit entfernten Kassen- und Shop-Bereich beginnt, tröstet wenig. Denn man glaubt sich in einer Verkaufsausstellung. Und den Konnex der titelgebenden Collagen „Geistervölker“ mit der gleichnamigen Installation hinten im Saal (ein Pick-up-Truck mit deformierten Gestalten) kann man nicht herstellen.
Zunächst, im klinkerverkleideten Foyer, steht ein ironisches Modell des hypertrophen, nie realisierten Palasts der Sowjets, zusammengesetzt aus bunten Konsumartikelverpackungen. Und dann, im Verteilerraum, stößt man auf die „Plünderer“, Trolle aus Pappmaché, denen es lediglich um den eigenen Vorteil geht. Sie waren, wie der Komplex „Feuer“, 2018 Teil der fulminanten Schau im Oberlichtsaal des Lentos. Auch das Thema Mode (Taschen, Schmuck, Kostüme) wird durchdekliniert – mit dem Motiv der Lastenträger.
Im Saal schließlich stößt man u. a. auf eine dehydrierte Monsterratte auf Rollen, groß wie ein kleiner Dino, die man als Danaer-Geschenk einsetzen kann, und eine Plastik, die einem sicher in Erinnerung bleibt: Eine rosarote, nackte Frau mit penisartiger Klitoris präsentiert ungeniert ihren Hintern, aus dem sich Würmer winden.
Es kommt einem das Kotzen. Wegen der Tiere? Oder wegen der Menschen?
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